Boeser Traum
sehen will«, giftet die groÃe Schwester.
»Ach wie schön. Zwischen euch hat sich nichts verändert«, stellt Michael Engels lakonisch fest.
Als sie am späten Abend im Wohnzimmer sitzen, fühlt es sich für Emilia sehr nach früher an. Sie sitzt â wie immer â neben ihrem Vater auf der groÃen Couch. Ihre Mutter hat sich auf das kleine Sofa gekuschelt, das sie mal secondhand gekauft haben, und Sophie lungert im Sessel. Michael Engels erzählt von neuen Projekten und den Sprachschwierigkeiten in Bayern. Sie lachen, als er versucht, den breiten Dialekt nachzumachen. Die Töchter erzählen von der Schule und irgendwann mischt Dagmar Engels sich ein. »Für Emilia stehen jetzt harte Zeiten an. Charlotta geht auf ein Internat nach Frankreich«, erzählt sie und guckt ihre jüngste Tochter mitleidig an.
»Du und Charlotta getrennt? Ich dachte immer, das geht nur durch eine mehrstündige Operation«, urteilt Michael Engels.
»Es war ja wohl klar, dass wir beide nicht die nächsten fünfzig Jahre als siamesische Zwillinge durchs Leben gehen können«, befindet Emilia ganz sachlich.
Vater und Mutter heben beide erstaunt die Augenbrauen und gucken sich überrascht an.
»Das heiÃt, du willst Charlotta auch nicht zu deinem Date morgen mitnehmen?«, lacht Sophie.
Emilia verzieht kein Gesicht. Die werden sich noch wundern, denkt sie sich nur.
Es ist fast zwölf, als Michael Engels seine Jacke anzieht. Die Töchter finden es schade, dass er nicht hier bei ihnen übernachten will. Aber die Eltern haben nachdrücklich klargemacht, dass das wirklich nicht ginge. Selbst wenn der Vater in Emilias oder Sophies Bett schliefe, die Gefahr, sich im Bad zu treffen, ist den geschiedenen Eltern zu groÃ. Emilia versteht nicht, wo die Gefahr liegen soll, wenn beide doch so fest der Meinung sind, dass sie nicht zueinanderpassen. Aber sie sagt nichts.
Während sie endlich ins Bett geht und sich noch ein bisschen in der Erinnerung an den Abend suhlt, schreckt ein paar Kilometer weiter Charlotta weinend auf. Erstaunt registriert sie, dass sie offenbar im Traum angefangen hat zu heulen â und sofort sind auch die Bilder wieder da. Sie war lebendig begraben. Wie Uma Thurman in Kill Bill, dem Film, den Charlotta mit Emilia verbotenerweise gesehen hat. Sie hatte die Kühle, die feuchte Erde um sich gefühlt. Sie hatte nach Emilia gerufen, aber ihre Stimme war rau und leise gewesen. Sie hatte sich kaum bewegen können, hatte angefangen, an dem Holz zu kratzen, und im Traum gefühlt, wie sich Splitter unter ihre Fingernägel gebohrt hatten. Ihr Puls beruhigt sich nur ganz langsam.
Das täte er nicht, wenn sie ahnen würde, wie nahe ihr Traum der Wirklichkeit der nächsten Tage kommen wird.
Die Luft vibriert
D u siehst aber gar nicht gut aus. Komm rein. Macht dir die Trennung so zu schaffen?«, begrüÃt Dagmar Engels Charlotta am nächsten Morgen. Sie wundert sich ein bisschen, dass Charlotta schon vor neun Uhr in Joggingklamotten auf der Matte steht.
Trennung? Charlotta muss einen kurzen Moment überlegen, welche Trennung die Mutter ihrer Freundin wohl meint. Schnell schüttelt sie den Kopf.
»Habe nur schlecht geschlafen«, sagt sie und das stimmt ja auch. Nach ihrem Albtraum ist sie wieder weggedöst, aber tiefer Schlaf wollte nicht mehr kommen. Die ganze Nacht hat sie das Gefühl gehabt, wach neben sich zu liegen.
»Emilia schon auf?«, wechselt sie schnell das Thema.
»Nee. War gestern Abend ein bisschen spät bei uns. Mein Exmann ist gekommen.«
»Davon hat Emilia gar nichts erzählt.«
»War auch eine Ãberraschung. Weck sie mal, damit ihr noch was vom schönen Wetter habt.«
Als Michael Engels eine halbe Stunde später mit frischen Brötchen in der Tür steht, liegen die Mädchen auf Emilias Bett. Das Schweigen irritiert ihn.
»Hallo, ihr Schönen! Wie sieht es aus: Frühstück und dann Einkaufsbummel?«
Die Mädchen gucken ihn ganz ruhig an, schütteln gleichzeitig den Kopf.
»Ich dachte nur, dass du vielleicht noch was Neues für dein Date brauchst«, lässt Michael Engels nicht locker. Solche Einladungen hat Emilia sich doch sonst nie entgehen lassen?
»Heute nicht Paps«, antwortet sie nur.
Michael Engels lehnt immer noch im Türrahmen. Er versteht nicht ganz, was hier gerade passiert. Er versucht, das Gespräch auf Charlottas
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