Boeser Traum
Donnerstags von 18 bis 20 Uhr.«
»Gut, dann wissen wir, wo wir heute Abend sind.«
Emilia reibt sich die Hände. Sie ist sich so sicher, dass ihr Plan funktionieren wird. Zufrieden lässt sie sich ins Gras fallen und träumt in den blauen Himmel.
Rote Punkte und ein stoppeliges Kinn
S ie zuckt zusammen, als neben ihr ein Ball auftitscht. Sie schreckt hoch und stellt fest, dass Charlotta extrem schnell aufgesprungen ist und sich den Ball geschnappt hat.
»Was ist denn da für ein Zettel dran?«, fragt sie erstaunt.
Charlotta hatte gehofft, den Post-it verschwinden lassen zu können, bevor Emilia ihn entdeckt.
»Bestimmt wieder von Mats«, sagt sie zu nebenbei.
»Mats? Wer ist das denn? Etwa der Typ mit den Schlitzaugen?«
»Schlitzaugen? Stimmt, jetzt wo du es sagst, der hat echt schmale Augen«, antwortet Charlotta.
»Schmal? Das ist ja wohl ein bisschen untertrieben. Der guckt wie ein Japaner mit Schlafzimmerblick«, findet Emilia.
Charlotta dreht sich leicht weg. Emilia muss nicht sehen, dass sie vor Wut knallrot wird.
»Und was schreibt das Schlitzauge?«, bohrt Emilia weiter.
»Noch mal Lust auf ein kleines Match?«, liest Charlotta vor.
»Noch mal?«
»Wir haben letzte Woche schon mal ein bisschen Volleyball gespielt. Bei ihm im Garten«, erklärt Charlotta.
»Volleyball? Will der Baggern üben, oder was?«
Charlotta ist mittlerweile zur Terrasse gegangen, hat sich vom Tisch einen Kuli geschnappt und Heute nicht auf den Zettel gekritzelt. Schwungvoll wirft sie den Ball zurück auf die StraÃe, wo irgendwo Mats warten wird.
Wenige Minuten später steht Emilia auf. »Ich muss jetzt eh gehen.«
»Warum? Ist doch noch früh«, sagt Charlotta überrascht. Blöd, jetzt hat sie Mats abgesagt. Wieso hat Emilia nicht gerade schon erwähnt, dass sie gleich wegmuss? Wäre das nicht nett gewesen? Oder Emilia hätte ja auch vorschlagen können, dass sie zu dritt Volleyball spielen â¦
»Ich habe Frau Stein versprochen, dass ich heute noch für sie einkaufe«, erklärt Emilia. Charlotta weiÃ, dass ihre Freundin ab und zu Botengänge für die alte Dame, die bei Emilia unten im Haus wohnt, macht. Davon, dass sie heute noch wegmuss, war allerdings vorher nicht die Rede.
Emilia klingelt tatsächlich bei Frau Stein. Es dauert ewig, bis die alte Frau an der Tür ist.
»Hallo, Frau Stein«, sagt Emilia sehr laut. Elisabeth Stein ist ziemlich schwerhörig. »Ich wollte fragen, ob ich Ihnen etwas besorgen soll.«
Elisabeth Stein schüttelt den Kopf. »Hab alles da, Kindchen. Aber komm doch rein.«
Emilia weiÃ, dass Frau Stein sich über Besuch freut und gerne ein bisschen plaudert, deshalb nimmt sie das Angebot an. Elisabeth Stein dagegen weiÃ, über was Emilia plaudern will. Sie umrunden das Thema aus der Ferne. Reden über das Wetter, die Ferien, über Sophie und nähern sich langsam . Frau Stein spricht es schlieÃlich an. »Fährst du in den Ferien nicht zu deinem Vater?«
Emilia schüttelt den Kopf, steckt schnell zwei Kekse aus der Keksschale, die Frau Stein auf den Tisch gestellt hat, in den Mund.
»Früher seid ihr ja auch oft in den Ferien hiergeblieben. Da hat dein Vater sich tolle Sachen für euch ausgedacht, damit ihr nicht traurig seid.«
Sie macht für beide einen Tee und erzählt. Wie Emilia mal mit ihrem Vater hinterm Haus gezeltet hat. Wie er mit ihr zu einer zweitägigen Fahrradtour aufgebrochen ist. Natürlich erinnert sich Emilia daran auch selber noch. Aber sie hört es so gerne von anderen. Wenn es jemand anders erzählt, ist es realer, dann kann Emilia sicher sein, dass dies oder das tatsächlich stattgefunden hat und die schönen Erinnerungen nicht womöglich nur ihrer Fantasie entsprungen sind. Sie muss der alten Dame das nicht erklären. Frau Stein hat gesehen, wie traurig Emilia nach der Scheidung ihrer Eltern war. Emilia selber erinnert sich nur an die Wut. An den glühenden Zorn, als ihr und Sophie mitgeteilt wurde, dass der Vater auszieht. Die ganzen schönen Worte danach. Wir trennen uns als Paar. Doch wir werden immer Vater und Mutter für euch bleiben. Wir sind eure Eltern, die euch immer lieben werden. Wir werden alles dafür tun, damit ihr unter unserer Trennung nicht leiden müsst.
Michael und Dagmar Engels hatten wirklich alles gemacht, was in den Ratgebern für geschiedene Eltern
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