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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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kindlich aus, so hilflos. Sie spricht nicht. Er mag Gejammer nicht. Gestöhne erst recht nicht. Ja, er kümmert sich um alles. Er wäscht sie, zieht die schmutzigen Laken ab, versucht dabei aber immer unscharf zu gucken. Stellt die Augen dann auf Weitsicht. Er arbeitet im Krankenhaus, weil er sich wirklich kümmern will. Blutflecke wegzumachen, Urinschalen zu leeren und mehr gehört einfach dazu. Das nimmt er in Kauf. Und in Kotze wegwischen, ist er ganz gut. Das hat er früher schon häufiger gemacht. Zu Hause. Aber das war da noch das geringste Übel. Was er kaum erträgt, ist fleischliche Nacktheit. Das stößt ihn ab. Das ist für ihn der Inbegriff des Vulgären. Immer wieder geht er bei Emilia vorbei, streicht kurz über ihren Arm, lässt seine Hand für einen knappen Moment auf der Bettdecke liegen. Aus den Augenwinkeln beobachtet er auch die Familie. Er spürt, dass irgendwas nicht stimmt in der Konstellation. Mutter und Vater sind besorgt, entsetzt vor Angst – aber er spürt die Kluft zwischen ihnen. Und was ist mit dieser Sophie? Warum ist sie so kühl? Kann sie ihre Gefühle nicht zeigen? Hat sie keine?
    Er kann nicht ahnen, welche Gedanken in Sophie kämpfen. Wie sie bereut. Viele gemeine Sachen bereut, die sie zu Emilia gesagt hat. Aber sie ist auch wütend. Warum verdammt ist ihre Schwester ohne Helm gefahren? Warum musste sie damit ihre Eltern so in Panik versetzen? War das nötig? Dann ist da die Angst. Was wird sein, wenn Emilia die Augen wieder aufmacht und ein kleines Kind ist? Das nicht essen, nicht reden, nicht auf Toilette gehen kann? Wie soll ihre Mutter das schaffen? Wird sie – Sophie – damit umgehen können? Ihr Handyklingeln reißt Sophie aus dem Gefühlssumpf. Sie spürt die vorwurfsvollen Blicke ihrer Eltern und von diesem merkwürdigen Pfleger auf sich. Sie fischt ihr Handy aus der Jackentasche, registriert eine fremde Nummer und macht das Telefon aus. »Sorry«, sagt sie leise und ärgert sich, dass sie nicht daran gedacht hat, das Telefon auszustellen. Kurz überlegt sie, wer sie um diese Uhrzeit anrufen könnte. Dazu noch jemand, der nicht in ihrem Adressbuch vermerkt ist. Wie soll sie ahnen, dass es Charlottas Eltern sind?
    Â»Soll ich Ihnen noch Wasser oder einen Kaffee bringen?«
    Â»Ich mach das schon«, herrscht Sophie Julius an. »Sollen Sie sich nicht eigentlich um die Kranken kümmern oder sind Sie Service-Personal?«, fragt sie kalt weiter.
    Julius zuckt zusammen. Was will diese Kuh? »Wenn es den Angehörigen gut geht, spüren die Kranken das oft. Das hilft ihnen«, sagt er leise und ein bisschen zu devot. Er geht mit gesenktem Kopf. Er fühlt sich zurückgewiesen. Aber das kennt er. Es tut nicht mehr weh.
    Als er wieder in das Zimmer kommt, ist die Familie weg. Er vermutet, dass die Eltern einen Kaffee trinken gegangen sind und die Schwester sich anderswo abreagiert. Er kontrolliert die Werte, ist schon auf dem Weg zur Tür, als er sich noch einmal umdreht. Grundlos eigentlich, fast, als hätte er einen siebten Sinn. Er registriert, dass sich in Emilias Gesicht etwas verändert. Sie sieht angestrengt aus. Ihr Gesicht schmerzverzerrt. Die Wangenknochen malmen. Julius starrt sie an, beobachtet sie weiter. Ist sie wirklich auf dem Weg an die Oberfläche? Taucht sie gleich auf? Oder versinkt sie wieder im schwarzen Schlaf? Ihr Kopf bewegt sich, ein leiser Ton folgt. Krächzend, trocken. Wie ein verdurstender Vogel, denkt er. Er kann es nicht sehen, aber er hat den Eindruck, dass sich alles in ihr zusammenzieht, jeder Muskel, jede Faser. Als müsste sie sich mit aller Gewalt ans Licht zwingen. Keiner weiß wirklich, was in diesen Momenten in den Gehirnen passiert. Die, die es erlebt haben, können sich nicht erinnern. Wahrscheinlich ist es gut so. Doch es gibt mehr als Wachen und Schlafen, mehr als An und Aus. Emilia hat sich vom Grund des dunklen Sees abgestoßen und will nach oben, will Luft schnappen. In ihr ist ein Gedanke, der dringend ist.
    Â»Lotta«, versteht Julius plötzlich und per Knopfdruck meldet er sich im Schwesternzimmer. Drei Minuten später sind die Ärzte und zwei Krankenschwestern da. Emilia ist aufgewacht. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit. Was ist mit ihrem Gehirn passiert, als es wie eine Kugel beim Bandenbillard gegen die Schädeldecke geprallt ist? Was ist zerstört?
    Emilia hat Mühe, ihren Blick zu kontrollieren. Die

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