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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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Dokumentation erzählt, die sie im Fernsehen gesehen hatte. Da war eine Frau portraitiert worden, die irgendwo in einer kleinen Hütte am Meer lebte und aus Kalkstein komische Figuren schuf. Sogar Schmuck aus Stein hatte die kreiert. Charlotta hatte sich das angehört und es nicht kommentiert. Sie hatte nicht gesagt, dass man aber verdammt viel Schmuck und Figuren verkaufen muss, um davon leben zu können. Dass es im Winter in dieser zugigen Hütte am Meer vielleicht nicht so lustig sei. Was sollte sie Emilia mit so viel Realität runterziehen? Nächste Woche würde Emilia wieder was anderes wollen. Visagistin, Politikerin, was auch immer. Und so wie Emilia alles erzählte, was ihr gerade in den Sinn kam und was sie für besonders wichtig erachtete, erzählte Charlotta – genau anders herum – das Wichtige nicht. Dass sie am liebsten, am allerallerliebsten Regisseurin werden würde. Sie würde sich Szenen und Dialoge ausdenken und den Schauspielern genaue Anweisungen geben. Vor drei Wochen war sie aus Versehen mit dem Bus zu weit gefahren, weil sie so in einer Szene gefangen war. Hinten im Bus saßen ein Junge und ein Mädchen. Er rechts vom Gang, sie links. Beide vielleicht siebzehn, knapp achtzehn. Er hörte Musik über sein Smartphone. Sie starrte aus dem Fenster. Charlotta hatte sich vorgestellt, dass die beiden ein Paar seien, gerade vom Arzt kämen und erfahren hätten, dass sie schwanger ist. Sie wären nicht so stumm, weil sie sich nicht kennen. Sie wären so stumm, weil beide in ihren Gedanken versunken wären, weil sie mit der neuen Situation klarkommen müssten. Charlotta hatte sich vorgestellt, wie der Typ irgendwann einfach seine Hand über den Gang strecken würde. Er würde nicht zu seiner Freundin gucken, sondern einfach darauf warten, dass sie seine Hand nimmt. Charlotta stellte sich das als ganz starke Szene vor, die ohne Worte so viel sagen würde. Als sie dann auf einmal festgestellt hatte, dass sie zu weit gefahren war und an der nächsten Station ausstieg, stieg auch der Typ aus und machte damit alles irgendwie kaputt.
    Charlotta schließt die Augen, versucht sich zu konzentrieren. Was wäre ein guter Film? Sie würde gerne mal einen Film über Freundschaft machen. Warum muss es immer gleich Liebe sein? Horror und Psycho ist nicht ihre Welt. Mord und Totschlag erst recht nicht. Sie stellt sich zwei Jungen vor. Tim und David nennt sie die beiden Freunde. Sie stellt sich vor, wie die beiden zusammen Basketball spielen, auf der Straße mit dem Skateboard unterwegs sind. Sie taucht tiefer in ihren internen Film. Tim ist hellblond, eher klein, seine Jeans ist immer irgendwo kaputt. Er hat ein verschmitztes Lächeln und Sommersprossen auf der Nase. David hat dunkle Haare, ein bisschen wuschelig, der Pony hängt ihm etwas zu sehr in die Augen. Er hasst Socken und seine kleine Schwester. Die nervt, wo und wann sie kann. Der Gedanke, der Charlotta aus dem Nichts ereilt hat, gibt ihr einen Stich. Sie muss krampfhaft den Gedanken an Niklas wegschieben. Ihre eigene Realität hat hier jetzt nichts verloren. Sie malt sich eine neue Welt – ihren Film: Sie sieht wieder Tim und David, die in Davids Zimmer abhängen, Musik hören und ein neues Computerspiel ausprobieren. Die Zimmertür haben sie abgeschlossen, damit Maya nicht mehr reinkommt. Die Zehnjährige hat sich jetzt darauf verlegt, kleine Zettel unter der Tür durchzuschieben. Die Jungs grinsen nur kurz, wenn mal wieder ein Briefchen kommt, wenden sich wieder dem Laptop zu. Als die beiden kurz danach mit ihren Boards abrauschen, schaut Maya ihnen traurig und neidisch nach. Sie kann nicht hinterher. Maya hat einen angeborenen Herzfehler. Radfahren, skaten, rennen – nichts für sie. Die Wut packt sie. Was sie nicht bedenkt: Auch mit einem gesunden Herz wäre sie nicht dabei. Sie ist schließlich nur die kleine Schwester. Sie gehört nicht zu dieser besonderen Freundschaft dazu. Charlotta stellt sich eine lange Kamera-Einstellung vor. Das Gesicht des Mädchens am offenen Fenster. Sie würde langsam die Farben aus dem Bild ziehen, die Hintergrundgeräusche verklingen lassen. Um das Mädchen würde es immer einsamer, stiller. Sie würde auf das Gesicht zoomen, auf die traurigen großen Augen.

Vom Grund des Sees ans Licht
    J ulius kümmert sich gerne um Emilia. Das hat verschiedene Gründe. Er mag ihre reine Haut. Sie sieht noch so

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