Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
dachte flüchtig an Lilly.
Das Mädchen musste etwa so alt gewesen sein wie Lilly heute, als Britta Hackspiel von den kranken Vorlieben ihres Mannes erfahren hatte. Neben dem furchtbaren Gefühl, den eigenen Mann nie richtig gekannt zu haben, kam die Sorge um die Kinder, dazu die gesellschaftliche Ächtung. Sexueller Missbrauch von Kindern durch ihre eigenen Väter war leider keine Seltenheit, im geschlossenen Mikrokosmos Familie wurde die meiste Gewalt ausgeübt, und trotz aller Kampagnen in der Öffentlichkeit wurde dieses Thema noch immer tabuisiert.
Pia reichte Britta Hackspiel eine Visitenkarte.
»Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie doch noch etwas erfahren sollten«, sagte sie. »Es ist sehr wichtig.«
Das Mädchen kam die Treppe hoch, in einem Ohr steckte der weiße Ohrstöpsel eines iPods, über der Schulter trug sie eine Sporttasche, aus der ein Hockeyschläger ragte.
»Hallo, Mama.«
»Hallo, Chiara.« Frau Hackspiel lächelte ihre Tochter an. »Und, wie war das Training?«
»Toll«, erwiderte das Mädchen ohne Begeisterung. Ein fragender Blick streifte erst Bodenstein, dann Pia.
»Also«, sagte Bodenstein und wandte sich zum Gehen. »Vielen Dank für die Auskünfte. Und ein schönes Wochenende noch.«
»Ihnen auch. Auf Wiedersehen.« Frau Hackspiel faltete Pias Visitenkarte zu einem kleinen Viereck, erst quer, dann längs. Sie würde sich nicht melden. Wahrscheinlich wanderte die Karte sofort in den Mülleimer. Und Pia konnte es irgendwie verstehen.
*
Um sechzehn Uhr lief die bundesweite Fahndung nach Kilian Rothemund an.
Das Foto war zwar nicht mehr ganz aktuell, es stammte aus dem Polizeicomputer und war neun Jahre alt, aber besser ein altes als gar kein Foto. Aus dem kriminaltechnischen Labor in Wiesbaden waren weitere Ergebnisse eingetroffen, die dem Fall Hanna Herzmann eine ganz neue Perspektive gaben. Eines der Gläser, die auf dem Wohnzimmertisch in Hannas Haus gestanden hatten, war zwar oberflächlich abgewischt worden, aber im Labor hatte man trotzdem noch einen brauchbaren Fingerabdruck finden können.
»Bernhard Andreas Prinzler«, sagte Kai Ostermann bei der Nachmittagsbesprechung, zu der sich das gesamte K11 nebst Christian Kröger im Besprechungsraum eingefunden hatte. »Ein ganz schwerer Junge. Sein Vorstrafenregister ist so lang wie eine Klopapierrolle. Totschlag, gefährliche Körperverletzung, illegaler Waffenbesitz, Förderung der Prostitution, Nötigung, Erpressung. Der Mann hat fast das komplette Strafgesetzbuch abgearbeitet. Seine letzte Verurteilung liegt allerdings mittlerweile vierzehn Jahre zurück. Außerdem war er lange Jahre einer der führenden Köpfe der Frankfurter Road Kings.«
»Der tätowierte Riese, den Kornbichler im Wohnzimmer gesehen haben will«, sagte Pia. »Und wer war der andere Mann, mit dem Hanna Herzmann später weggefahren ist?«
»Das war Kilian Rothemund«, erwiderte Kai. »Seine Fingerabdrücke sind überall im Haus. Er hat sich auch nicht die Mühe gemacht, sein Glas abzuwischen.«
»Im Gegensatz zu Prinzler«, ergänzte Bodenstein. »Warum wischt man ein Glas ab, wenn man irgendwo zu Besuch ist?«
»Ist vielleicht reine Gewohnheit bei jemandem, der so oft mit dem Gesetz kollidiert ist«, vermutete Christian Kröger.
»Oder Prinzler hatte vor, wiederzukommen«, sagte Cem Altunay.
»Das ergibt irgendwie keinen Sinn.« Pia schüttelte den Kopf. »Prinzler und Rothemund besuchen Hanna Herzmann, sitzen mit ihr im Wohnzimmer und quatschen wie alte Freunde. Später fährt Frau Herzmann mit Rothemund auch noch weg. Der ist am Abend darauf wieder an ihrem Haus und wirft etwas in den Briefkasten …«
»Was hat er da eigentlich eingeworfen?«, fragte Kathrin Fachinger.
»Das wissen wir noch nicht. Meike Herzmann meldet sich nicht auf ihrem Handy«, antwortete Pia. »Zurückgerufen hat sie wohl auch nicht, oder, Kai?«
»Hier nicht, nein.«
Bodenstein stand auf, nahm den Filzschreiber und ergänzte die Namensliste auf dem Whiteboard um die Namen Kilian Rothemund und Bernd Prinzler, dafür strich er Norman Seiler und Vinzenz Kornbichler durch.
»Was ist mit Niemöller?« Er wandte sich um. »Wer hat mit ihm gesprochen?«
»Kathrin und ich«, sagte Cem Altunay. »Ein Alibi hat er nicht für Donnerstagnacht. Er behauptet, er habe mit Frau Herzmann wegen einer Recherchesache gestritten. Es hat ihn wohl gekränkt, dass sie ihm nicht verraten wollte, woran sie gerade arbeitet. Angeblich ist er direkt von Oberursel aus nach Hause gefahren und hat
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