Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
sich in seiner Wohnung vor lauter Frust betrunken. Leider gibt’s dafür keine Zeugen.«
»Mir kam es aber nicht so vor, als ob er lügen würde«, ergänzte Kathrin Fachinger. »Und ganz ehrlich, das ist so ein dürrer Stubenhocker. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der so etwas tut.«
Bodenstein ließ diese Bemerkung unkommentiert. Selten sah man einem Menschen an, wozu er fähig war. Auch er hielt Jan Niemöller nicht für den Täter, doch er hatte sich von ihm hilfreiche Informationen über das Umfeld von Hanna Herzmann erhofft, insbesondere über die Angelegenheit, mit der sie sich gerade beschäftigt hatte.
»Gibt es Neuigkeiten aus dem Krankenhaus?«
»Frau Herzmann ist noch immer nicht vernehmungsfähig«, meldete sich wieder Cem zu Wort. Kathrin und er waren im Höchster Krankenhaus gewesen, aber Hanna Herzmann war nach einer zweiten Operation noch nicht aus der Narkose aufgewacht, ihren Zustand beurteilten die Ärzte als weiterhin kritisch.
»Rothemund muss sich hier irgendwo in der Gegend aufhalten«, sagte Bodenstein nachdenklich. »Er ist mit einem Motorroller in Langenhain gewesen.«
»Ich hab die Wohnanschrift von Prinzler.« Kai blickte von seinem Laptop auf. »Er wohnt in Ginnheim, in der Peter-Böhler-Straße 143. Ich hab’s irgendwie im Urin, dass Rothemund bei seinem früheren Mandanten untergekrochen ist. Der ist ihm nämlich was schuldig. Vielleicht interessiert es euch, dass Kilian Rothemund in mehreren Fällen Prinzlers Strafverteidiger war. Er hat in zwei Fällen von schwerer Körperverletzung Freispruch aus Mangel an Beweisen hinbekommen.«
Bodenstein nickte. Das hörte sich in der Tat sehr vielversprechend an. Allerdings war davon auszugehen, dass sich Prinzler nicht widerstandslos festnehmen lassen würde.
»Wir fahren sofort hin«, entschied er und warf einen Blick auf seine Uhr. »Kai, ruf bei den Kollegen in Frankfurt an. Ich will mindestens sechs Mann Verstärkung dabeihaben. Sie sollen um Punkt 17:30 Uhr da sein.«
Vielleicht hatten sie Glück, und der Fall Hanna Herzmann war in ein paar Stunden aufgeklärt, damit sie sich wieder mit aller Konzentration der Nixe widmen konnten, die noch immer namenlos in einem Kühlfach der Frankfurter Rechtsmedizin lag.
*
Hanna hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie lange lag sie hier schon? Einen Tag? Eine Woche? Welches Datum war heute? Welcher Wochentag?
Es machte sie schier verrückt, dass sie sich an nichts erinnern konnte. Doch sosehr sie sich bemühte, in ihrem Kopf war nichts außer einem undurchdringlichen Nebel. Ein bestimmter Zeitraum war ihr abhandengekommen, denn sie wusste, wie sie hieß, wann sie Geburtstag hatte, sie konnte alles minutiös abrufen, bis zu dem Streit mit Jan nach der After-Show-Party.
Die Ärzte hatten ihr heute Morgen, bevor man sie ein zweites Mal in den OP geschoben hatte, gesagt, sie habe einen Schädelbruch und eine schwere Gehirnerschütterung erlitten und eine vorübergehende Amnesie sei in einem solchen Fall nicht ungewöhnlich. Sie solle sich nicht unter Druck setzen, hatten sie ihr geraten, irgendwann kehre die Erinnerung von selbst zurück. Schädelbruch. Gehirnerschütterung. Warum hatte man sie wieder operiert? Weshalb konnte sie sich kaum bewegen?
Die Tür ging auf, die dunkelhaarige Ärztin, die sie schon öfter gesehen hatte, trat an ihr Bett.
»Wie fühlen Sie sich?«, erkundigte sie sich freundlich.
Blöde Frage. Wie fühlte man sich, wenn man auf der Intensivstation lag, keine Erinnerung hatte und nicht mal von seiner eigenen Tochter besucht wurde?
»Ganz gut«, murmelte Hanna. »Was ist eigentlich passiert? Warum bin ich operiert worden?«
Wenigstens konnte sie sich mittlerweile wieder halbwegs verständlich artikulieren. Die Ärztin kontrollierte die Monitore, die sich hinter Hannas Bett befanden, dann zog sie einen Stuhl heran und setzte sich.
»Sie sind Opfer eines Verbrechens geworden. Man hat Sie überfallen und vergewaltigt«, sagte sie mit ernster Miene. »Dabei haben Sie sehr schwere innere und äußere Verletzungen erlitten. Wir mussten Ihnen die Gebärmutter und ein Stück des Darms entfernen und vorübergehend einen künstlichen Ausgang legen.«
Hanna starrte die Frau stumm an. Das Begreifen kam in Schockwellen. Sie hatte keinen Unfall gehabt, sondern war vergewaltigt worden! Das konnte nicht wahr sein! So etwas passierte anderen, aber doch nicht ihr. Sie war es, die über solche Dinge berichtete! Opfer eines Verbrechens. Nein, nein, nein! Sie
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