Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
nach Hause.«
»Was haben Sie denn überhaupt …?«, begann der Einsatzleiter, aber sein überheblicher Tonfall und sein Machogebaren brachten Bodenstein allmählich in Rage.
»Schluss jetzt«, unterbrach er ihn energisch. »Wir gehen jetzt da rein, bevor noch das Fernsehen auftaucht und unsere Zielperson sein Haus in der Hessenschau sieht. Ihr bleibt unten und sichert die Ausgänge.«
»Sie tragen keine schusssichere Weste«, maulte der Mann, der sich in seiner Ehre sichtlich gekränkt fühlte. »Ich und einer von meinen Jungs gehen mit.«
»Wenn Sie unbedingt wollen.« Bodenstein zuckte die Achseln und setzte sich in Bewegung. »Aber ihr haltet euch im Hintergrund.«
Das Haus Nummer 143 war einer von mehreren gesichtslosen, grauen Wohnblöcken aus den sechziger Jahren. An dem warmen Samstagnachmittag spielte sich das Leben der Bewohner zum größten Teil im Freien ab. Die Leute saßen auf ihren Balkonen, auf dem Rasen zwischen den Häusern spielten Kinder Fußball, ein paar junge Männer schraubten an einem Auto herum. Gerade, als sie sich der Haustür näherten, ging diese auf. Zwei junge Frauen mit Kinderwagen kamen heraus und musterten sie misstrauisch.
»Was ist denn hier los?«, fragte eine beim Anblick der SEK -Leute.
»Nichts. Gehen Sie weiter«, blaffte der Einsatzleiter unfreundlich.
Natürlich erreichte er damit das Gegenteil. Die beiden blieben stehen, eine zückte sogar ihr Handy. Pia drängte zur Eile. Die ganze Aktion erregte schon jetzt viel zu viel Aufsehen.
»Prinzler«, las Cem auf einem der Klingelschilder. »Dritter Stock.«
Im Hausflur roch es nach Essen.
»Pia und ich nehmen den Aufzug, ihr die Treppe«, sagte Bodenstein zu Altunay und Kröger und drückte den Knopf des Aufzugs.
»Willst du nicht lieber die Treppe nehmen?«, fragte Pia harmlos.
Sie kannte die Antwort ihres Chefs im Voraus, aber sie konnte es nicht lassen, ihn aufzuziehen. Im letzten Sommer hatte er vollmundig behauptet, er werde auch ohne alberne Fitness- und Ernährungspläne ein paar Kilos abnehmen, indem er zukünftig einfach Treppen statt Aufzüge benutzen würde. Seitdem hatte sie es allerdings erst zwei- oder dreimal erlebt, dass er tatsächlich eine Treppe nahm, wenn es einen funktionierenden Aufzug als Alternative gab.
Der Aufzug kam.
»Ich bereue es jeden Tag bitterlich, dich vertrauensvoll in meine geheimen Fitnesspläne eingeweiht zu haben«, entgegnete Bodenstein, nachdem sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten. »Du wirst mich bis ans Ende meiner Tage mit dieser leichtfertig geäußerten Bemerkung aufziehen. Ich schlage vor, wir nehmen die Treppe auf dem Rückweg.«
»Wie üblich also.« Pia grinste vielsagend.
Wenig später standen sie vor einer verkratzten Tür, an der ein staubiger Plastikblumenkranz hing. Die Fußmatte hieß Besucher herzlich willkommen. Bodenstein drückte auf die Klingel. Hinter der dünnen Sperrholztür lief überlaut ein Radio, aber nichts rührte sich. Nach einem zweiten Klingeln verstummte das Radio. Bodenstein klopfte.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, die beiden SEK -Leute stürmten an Bodenstein vorbei, warfen sich gegen die Tür, die gegen die Wand knallte. Ein schriller Schrei ertönte aus der Wohnung, gefolgt von einem zweiten Schrei, einem dumpfen Schlag und ersticktem Husten. Wie ein Blitz huschte eine weiße Katze zwischen Pias Beinen hindurch ins Treppenhaus und miaute.
Pia und Bodenstein drängten sich in die Wohnung. Ihnen bot sich ein grotesker Anblick. Eine zierliche alte Dame mit sorgfältig ondulierten weißen Löckchen stand im Flur, in der Hand eine Sprühdose, zu ihren Füßen krümmte sich der Einsatzleiter auf dem hellgrauen Teppichboden, der andere Beamte lehnte an der Wand. Er hustete und seine Augen tränten. Eine schöne Bescherung!
»Hände hoch!« Die alte Dame richtete die Dose angriffslustig auf Bodenstein. Der war noch nie von einer Achtzigjährigen mit einer goldgerahmten Lesebrille auf der Nasenspitze bedroht worden, gehorchte aber angesichts ihrer grimmigen Entschlossenheit vorsichtshalber.
»Ganz ruhig!«, sagte er. »Mein Name ist Bodenstein, Kriminalpolizei Hofheim. Bitte entschuldigen Sie das rüde Verhalten meiner Kollegen.«
»Die Oma nehmen wir mit«, krächzte der Einsatzleiter und bemühte sich, auf die Beine zu kommen. »Das gibt eine Anzeige wegen Körperverletzung.«
»Dann zeige ich Sie an wegen Hausfriedensbruch«, erwiderte die alte Dame schlagfertig. »Raus aus
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