Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
meiner Wohnung, aber sofort!«
Im Treppenhaus versammelten sich immer mehr Hausbewohner, reckten die Hälse und tuschelten.
»Geht’s dir gut, Elfriede?«, rief ein alter Mann.
»Ja, ja, alles in Ordnung«, erwiderte die furchtlose Seniorin und stellte die Tränengasdose auf die Ablage der Garderobe. »Aber auf den Schreck brauche ich erst mal einen Sherry.«
Sie warf Bodenstein einen prüfenden Blick zu.
»Kommen Sie mit, junger Mann«, sagte sie. »Sie haben wenigstens Benehmen. Nicht so wie diese zwei Rüpel, die mir fast die Tür eingeschlagen haben.«
Bodenstein und Pia folgten ihr ins Wohnzimmer. Eiche rustikal, geblümte Tapete, ein Servierwagen voller Nippes, Polstermöbel überladen mit bestickten Kissen, Zinnteller und -krüge in einer Vitrine. Der riesige Plasmafernseher mittendrin ein Anachronismus. Schwer vorstellbar, dass hier ein tätowierter Zweimetermann in Kutte und Motorradstiefeln ein und aus ging.
»Auch ein Gläschen?«, erkundigte sich die alte Dame.
»Nein, vielen Dank«, lehnte Bodenstein höflich ab.
»Setzen Sie sich doch.« Sie öffnete die Vitrine, die eine beachtliche Sammlung verschiedenster Alkoholika enthielt, nahm ein Glas und schenkte aus einer Flasche einen kräftigen Schluck ein. »Was sollte der Überfall hier eigentlich?«
»Wir suchen Bernd Prinzler«, erwiderte Bodenstein. »Ist das Ihr Sohn?«
»Der Bernd. Ja, das ist mein Sohn. Einer von vieren. Hat er etwa wieder was ausgefressen?« Elfriede Prinzler kippte wenig betroffen den Sherry herunter.
Christian Kröger erschien im Türrahmen.
»Die Wohnung ist leer«, sagte er. »Auch keinerlei Hinweise darauf, dass sich hier kürzlich jemand anderes aufgehalten hat.«
»Wen haben Sie denn erwartet? Etwa meinen Sohn? Den habe ich seit Jahren nicht gesehen.« Die alte Dame setzte sich in den Sessel, der in Richtung Fernseher ausgerichtet war. Sie kicherte.
»Sie müssen das Tränengas entschuldigen«, gluckste sie amüsiert, und Pia vermutete, dass sie eben nicht erst ihren ersten Sherry getrunken hatte. »Aber hier läuft so viel Gesindel herum, deshalb hab ich immer die Sprühdose dabei. Auch, wenn ich einkaufen oder auf den Friedhof gehe.«
»Das tut uns wirklich leid«, sagte Pia. »Unsere Kollegen waren etwas übereifrig. Wir wollten Sie nicht erschrecken.«
»Halb so wild.« Elfriede Prinzler winkte ab. »Wissen Sie, ich bin sechsundachtzig, da ist das Leben ziemlich langweilig. Jetzt ist wenigstens mal etwas passiert. Da können wir ein paar Wochen lang drüber reden.«
Gut, dass sie es mit Humor nahm. Andere Leute hätten in einer solchen Situation Anzeige erstattet. Zu Recht.
»Was wollen Sie denn eigentlich von Bernd?«, fragte Frau Prinzler neugierig.
»Wir haben ein paar Fragen an ihn«, antwortete Bodenstein. »Wissen Sie, wo wir ihn finden können? Haben Sie eine Telefonnummer von ihm?«
Pia blickte sich um und ging zu einem Sideboard, auf dem gerahmte Fotos jüngeren Datums standen. An der Wand hingen sepiafarbene Fotografien, die eine junge Elfriede Prinzler und ihren Mann zeigten.
»Nein, leider nicht.« Die alte Dame schüttelte bedauernd den Kopf. »Meine anderen Jungs kommen mich regelmäßig besuchen, aber der Bernd, der führt sein eigenes Leben. So war er schon immer. Hin und wieder kommt mal ein Brief für ihn, den schicke ich dann an ein Postfach in Hanau.«
Sie zuckte die Schultern.
»Solange ich nichts von ihm höre, bin ich zufrieden. Keine Nachrichten sind gute Nachrichten.«
»Ist das hier Bernd?«, erkundigte sich Pia und deutete auf einen der silbernen Rahmen. Hulk Hogan mit dunklen Haaren vor einem schwarzen Auto, daneben eine Frau, zwei Kinder und ein weißer Pitbull-Terrier.
»Ja«, bestätigte Elfriede Prinzler. »Schlimm, wie er tätowiert ist, nicht wahr? Wie ein Matrose, hat mein Mann – Gott hab ihn selig – immer gesagt.«
»Wie alt ist das Bild?«
»Das hat er mir letztes Jahr geschickt.«
»Könnte ich es mir ausleihen?«, bat Pia. »Ich schicke es Ihnen gleich nächste Woche zurück.«
»Ja, ja, nehmen Sie es nur mit.«
Die weiße Katze kehrte zurück und sprang schnurrend auf Elfriede Prinzlers Schoß.
»Danke.« Pia nahm das Foto aus dem Rahmen und drehte es um. Es handelte sich um eine Fotopostkarte, wie man sie in Internetshops herstellen lassen konnte.
»Frohe Weihnachten 2009 wünschen Bernd, Ela, Niklas und Felix. Lass es dir gutgehen, Mum!« , stand auf der Rückseite. Auch Rocker schickten ihren Müttern Weihnachtskarten.
Pia betrachtete den
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