Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
du das Ding verlierst, kann jeder damit telefonieren.«
»Ich vergesse den Code immer«, gab Bodenstein zu. »Das wird jedes Mal so kompliziert, wenn ich drei Mal falsche Zahlen eingebe.«
»Tze!« Kröger schüttelte den Kopf und grinste. Er tippte auf das Briefsymbol, neben dem eine »1« stand, die eine neue Nachricht ankündigte. »Hier ist die Mail von Kai. Schau mal, du musst im Text nach unten scrollen, und da findest du den Link zur PDF .«
»Mach du das mal«, sagte Bodenstein zu seinem Kollegen und streckte die Hand nach seinem Telefon aus. »Ich rufe Pia an.«
Christian Kröger seufzte.
»Warte, ich schicke mir die Mail weiter, dann kannst du gleich telefonieren. Echt, Oliver, ich glaube, du brauchst dringend einen Grundkurs für den Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln.«
Bodenstein gab ihm insgeheim recht. Irgendwie hatte er den Anschluss verpasst, seitdem Lorenz aus dem Haus war. Aber vielleicht konnte er Nachhilfe von seinem achtjährigen Neffen bekommen, ohne dass es jemand mitbekam.
Kröger reichte ihm das Telefon, und er tippte Pias Nummer ein, aber im gleichen Augenblick kam ein Anruf. Inka! Was konnte sie wohl an einem Sonntagmorgen von ihm wollen?
»Hallo, Oliver«, sagte sie. »Sag mal, denkst du noch an Rosalie?«
»An Rosalie?« Bodenstein runzelte die Stirn. Hatte er etwas verpasst oder vergessen? »Was ist mit ihr?«
»Sie hat heute um zwölf den Kochwettbewerb im Radisson Blu«, erinnerte Inka ihn. »Cosima ist doch nicht da, und wir hatten ihr fest versprochen, hinzukommen.«
Mist! Dieser Kochwettbewerb war ihm wirklich völlig entfallen! Er hatte seiner Tochter tatsächlich hoch und heilig versprochen, dabei zu sein, schließlich war allein schon die Teilnahme eine hohe Auszeichnung. Ihr Verständnis für sein Fernbleiben aus beruflichen Gründen würde gegen null tendieren, und seine Schwägerin Marie-Louise würde ihm das auf immer und ewig nachtragen.
»Wie spät haben wir es jetzt?«, erkundigte er sich.
»Zwanzig vor elf.«
»Ich hab’s tatsächlich vergessen«, gab Bodenstein zu. »Aber ich komme natürlich. Danke, dass du mich daran erinnert hast.«
»Keine Ursache. Dann treffen wir uns am besten um Viertel vor zwölf direkt vor dem Hotel, okay?«
»So machen wir das. Bis gleich dann.« Er beendete das Gespräch und stieß einen ziemlich vulgären Fluch aus, was er sonst nie tat. Dafür erntete er einen entgeisterten Blick von Christian Kröger.
»Ich muss weg. Familienangelegenheit. Pia soll mich anrufen, wenn irgendetwas ist.«
*
Sie war vor lauter Erschöpfung tatsächlich eingeschlafen, und das in dieser unbequemen Position. Im Raum war es völlig dunkel, bis auf ein paar schmale Lichtstreifen, die durch die heruntergelassenen Rollläden drangen und ihr sagten, dass draußen helllichter Tag herrschte. Wie lange hatte sie wohl geschlafen? Die Hoffnung, dass sie die nächtlichen Ereignisse nur geträumt hatte, verflüchtigte sich, als sie die Kabelbinder spürte, die schmerzhaft in ihre Handgelenke schnitten. Das Gewebeklebeband, das sie über ihren Mund geklebt und mehrfach um ihren Kopf gewickelt hatten, saß fest und ziepte bei jeder Kopfbewegung unangenehm an ihren Haaren. Aber das war das geringste Übel. Man hatte sie auf einen Stuhl gefesselt, der mitten im Therapieraum stand, die Knöchel an die Stuhlbeine, die Hände hinter dem Rücken an die Lehne. Um ihre Mitte spannte sich straff ein Kunststoffriemen, der sie an den verdammten Stuhl fixierte. Das Einzige, was sie bewegen konnte, war der Kopf. Obwohl ihre Situation mehr als beschissen war, so war sie wenigstens noch am Leben, war weder zusammengeschlagen noch vergewaltigt worden. Wenn nur dieser Durst nicht gewesen wäre, und der Druck auf ihre Blase!
Auf ihrem Schreibtisch klingelte das Telefon. Nach dem dritten Klingeln brach es ab, und sie hörte ihre eigene Stimme. »Guten Tag, Sie sind mit dem Anschluss der psychotherapeutischen Praxis Leonie Verges verbunden. Ich bin bis einschließlich 11. Juli nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie mir eine Nachricht, ich rufe gerne zurück.«
Der Anrufbeantworter piepte, aber niemand sprach etwas aufs Band. Das Einzige, das sie hörte, war ein raues Atemgeräusch, eher ein Keuchen.
»Leonie …«
Sie zuckte beim Klang der Stimme erschrocken zusammen, bevor sie begriff, dass der Anrufer gesprochen hatte.
»Hast du Durst, Leonie?« Die Stimme war eindeutig verstellt. »Du wirst noch viel mehr Durst kriegen. Wusstest du, dass Verdursten so
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