Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
zwischen den alten Freunden vorgefallen war. Ein paar Minuten später hielt sie vor dem Haus in der Schulstraße in Sachsenhausen und wartete auf Bodenstein, der den Computer von Hanna aus der Wohnung ihrer Tochter holte. Pia ärgerte sich über Meike Herzmann, aber mehr noch über sich selbst. Vorgestern Morgen, als Bodenstein und sie bei Herzmann production gewesen waren, hatte sie noch an den Rechner gedacht, aber dann hatte sie sich von Lillys Anruf wegen der Zecke ablenken lassen und ihn vergessen. Das war kein Versehen, sondern ein grober Fehler, der ihr nicht hätte unterlaufen dürfen.
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Eigentlich hatte Pia mit Cem und Kathrin von der Rechtsmedizin aus direkt nach Langenselbold fahren und Bernd Prinzler festnehmen sollen, aber Dr. Nicola Engel hatte sie zurückgepfiffen. Auch wenn Prinzler seit mehr als vierzehn Jahren nicht mehr aktenkundig geworden war, so wurde er dennoch dem inneren Kreis der Frankfurt Road Kings zugeordnet, galt als gewaltbereit und gefährlich. Die Kriminalrätin hatte eine »konzertierte Aktion« angeordnet, in Kooperation mit einer Einheit des SEK . Bodenstein hielt das für völlig überzogen, aber die Engel war unnachgiebig geblieben. Sie befürchtete, dass Prinzler auf ein höfliches Klingeln am Tor nicht reagieren würde und dann gewarnt sei, deshalb müsse der Zugriff entschlossen und überraschend erfolgen. Die Organisation des Einsatzes hatte sie selbst in die Hand genommen, und so war Pia in den Genuss eines ungewöhnlich frühen Feierabends gekommen. Sie war auf dem Heimweg im Supermarkt in Liederbach vorbeigefahren und hatte für das Abendessen eingekauft. Für das Kochen war im Laufe der vergangenen Monate mehr und mehr Christoph zuständig. Er kochte leidenschaftlich gern und sehr viel besser als Pia, die nach der Arbeit meistens keine Lust mehr hatte, sich an den Herd zu stellen. Doch heute hatte sie Lust. Sie warf den Elektrogrill an, der auf der Terrasse vor der Küche stand, schnitt Zucchini und Auberginen in dünne Scheiben und legte sie auf den Grill. Während das Gemüse vor sich hin brutzelte, mischte Pia in einer Tupperdose eine Marinade aus Olivenöl, Salz, Pfeffer und gepresstem Knoblauch.
Das Ergebnis der Obduktion von Leonie Verges hatte Hennings erste Vermutung bestätigt: Die Frau war an multiplem Organversagen aufgrund völliger Austrocknung gestorben. Ein qualvoller Tod. Hätte man sie zwei Stunden früher gefunden, wäre sie möglicherweise noch zu retten gewesen. Es war eine grausame Todesart, und Pia mochte sich nicht vorstellen, was die Frau in den letzten Stunden ihres Lebens durchgemacht hatte. Hatte sie noch auf Hilfe gehofft oder war ihr bewusst gewesen, dass sie sterben musste? Aber wieso hatte sie sterben müssen? Und warum auf diese Art? Die Kamera, die genau auf den Stuhl gerichtet war, und die schrecklichen Ansagen auf dem Anrufbeantworter, die Leonie gehört haben musste, verrieten außerordentlichen Sadismus. Untypisch für jemanden wie Bernd Prinzler, der früher durch Körperverletzung und Schusswaffengebrauch aufgefallen war. Allerdings war Pia schon zu lange bei der Kriminalpolizei, um zu glauben, dass sich Kriminelle an irgendwelche logischen Verhaltensmuster hielten.
Hanna Herzmann war Patientin von Leonie Verges gewesen, diese Verbindung war klar. Hatte Leonie Hanna mit Kilian Rothemund bekannt gemacht oder umgekehrt? Rothemund und Prinzler kannten sich von früher, auch das war klar. Hoffentlich würde sich Hanna bald an irgendetwas erinnern können! Sie war die Einzige, die Licht ins Dunkel dieser verworrenen Geschichte bringen konnte.
In Gedanken versunken legte Pia die angebratenen Zucchinistreifen in die Marinade und tat eine Lage Auberginenscheiben auf den Grill. Zwischendurch zupfte sie eine Handvoll Salbeiblätter von dem Busch, der auf der Küchenfensterbank zwischen frischem Basilikum, Zitronenmelisse und Rosmarin stand. Lilly liebte Pias Spezialrezept – Spaghetti mit Salbei, Parmaschinken, Kapern und Knoblauch –, und Christoph aß es auch immer wieder tapfer mit.
Vor dem Haus begannen die Hunde in einer Tonlage zu bellen, die pure Freude signalisierte – Christoph und Lilly kamen nach Hause. Nur Sekunden später stürzte das Mädchen in die Küche, mit wehenden Zöpfen und leuchtenden Augen. Sie umarmte Pia, die Worte sprudelten wie ein Wasserfall aus ihrem Mund. Trampolin, Opa, Pony, Geparden, Giraffenbaby … Pia musste lachen.
»Langsam, langsam!«, bremste sie das Mädchen. »Ich verstehe bei dem Tempo
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