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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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schon, keine Antwort zu bekommen, so lange schwieg Corinna, doch schließlich nahm sie die Hände herunter und stieß einen Seufzer aus.
    »Die Geschichte von Michaela ist sehr traurig und schmerzlich für die ganze Familie Finkbeiner«, sagte sie leise. »Sie war schon als kleines Mädchen psychisch krank. Heute könnte man ihr vielleicht helfen, aber damals, in den siebziger Jahren, war man noch nicht so weit in der Kinderpsychologie und wusste nicht, was eine multiple Persönlichkeitsstörung ist. Man hielt sie wohl einfach für ein bockiges, verlogenes Kind. Damit hat man ihr großes Unrecht getan, aber es wusste eben niemand besser.«
    »Das ist ja schrecklich«, flüsterte Emma betroffen.
    »Josef und Renate haben sich mehr um Michaela gekümmert als um uns andere Kinder«, fuhr Corinna fort. »Aber alle Liebe und Fürsorge hat letztlich nichts genützt. Mit zwölf ist sie das erste Mal von zu Hause abgehauen, wurde beim Ladendiebstahl erwischt. Danach bekam sie immer wieder Ärger mit der Polizei. Josef konnte viel durch seine Beziehungen richten, aber Michaela hat das nicht begriffen. Sie fing früh an, Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen, niemand von uns kam mehr an sie heran. Für Florian war es besonders schlimm.«
    Alle Fröhlichkeit war aus ihren Augen gewichen, und Emma bedauerte, an ein Thema gerührt zu haben, das in Corinna so schmerzliche Erinnerungen wachrief.
    »Warum hat Florian mir nie von ihr erzählt?«, fragte Emma. »Ich hätte das doch verstanden. In jeder Familie gibt es ein schwarzes Schaf.«
    »Du musst verstehen, wie furchtbar es für ihn war und wie sehr er darunter gelitten hat. Letztlich war es wohl auch der Grund, weshalb er von hier wegging, sobald er konnte«, erwiderte Corinna. »Immer stand er im Schatten seiner Schwester, die viel mehr Aufmerksamkeit bekam als er. Er konnte noch so lieb, fleißig und tüchtig sein, immer ging es nur um Michaela.«
    »Was ist aus ihr geworden?«
    »Sie hat die Schule abgebrochen, als sie fünfzehn war, und ging auf den Strich, um sich ihre Drogensucht zu finanzieren. Irgendwann landete sie im Milieu. Josef hat alles versucht, um sie da rauszuholen, aber sie wollte sich nicht helfen lassen. Nach einem Selbstmordversuch saß sie ein paar Jahre in der geschlossenen Psychiatrie. Mit ihren Eltern oder einem von uns Geschwistern hat sie nie mehr sprechen wollen.«
    Emma fiel auf, dass Corinna nur in der Vergangenheit von ihrer Stiefschwester sprach.
    »Wo ist sie jetzt? Weiß das jemand?«
    Auf dem Herd kochte das Nudelwasser über und verdampfte zischend, gleichzeitig fuhr vor dem Küchenfenster ein Auto vor. Das Motorengeräusch erstarb, zwei Autotüren knallten, eine helle Kinderstimme rief: »Mama, ich hab Hunger!«
    Corinna schien nichts davon wahrzunehmen. Alle Energie schien mit einem Mal aus ihrem Körper gewichen, sie presste die Lippen zusammen und sah unendlich traurig aus.
    »Michaela ist vor ein paar Jahren gestorben«, sagte sie. »Nur Ralf, Nicky, Sarah und ich waren auf ihrer Beerdigung. Seitdem hat niemand mehr ihren Namen erwähnt.«
    Emma starrte die Freundin schockiert an.
    »Glaub mir, Emma, das ist besser so.« Corinna legte kurz ihre Hand auf Emmas, dann stand sie auf und ging hinüber zum Herd, um die Pasta in das kochende Wasser zu tun. »Reiß keine alten Wunden auf. Michaela hat wirklich sehr viel Kummer über Josef und Renate gebracht.«
    Torben, Corinnas Jüngster, stürmte durch die offen stehende Fenstertür ins Esszimmer, feuerte seinen Ranzen in eine Ecke und lief in die Küche, ohne Emma zu beachten.
    »Ich hab einen Riiiiiesenhunger!«, verkündete er.
    »Wasch dir die Hände und bring deinen Ranzen hoch. In zehn Minuten gibt’s Essen.« Corinna strich ihm geistesabwesend über den Kopf, dann blickte sie Richtung Terrasse. »Danke, dass du ihn abgeholt hast, Helmut. Willst du einen Teller Pasta mitessen?«
    Erst jetzt bemerkte Emma den Hausmeister Helmut Grasser, der in der Terrassentür stehen geblieben war. Sie stand auf.
    »Hallo, Herr Grasser«, sagte sie.
    »Hallo, Frau Finkbeiner.« Er lächelte. »Wie geht’s Ihnen bei der Hitze?«
    »Danke, so weit gut.« Emma rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. Sie hatte gehofft, mit Corinna noch über ihren Verdacht wegen Florian und Louisa sprechen zu können, aber das war kaum möglich, wenn Torben und der Hausmeister mit am Tisch saßen.
    »Ich gehe mal wieder«, sagte sie, und Corinna machte keinen Versuch, sie aufzuhalten. Ihre Miene war umwölkt, ihr übliches

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