Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
mir so ein verdammtes Weibsstück befohlen hat.«
»Wer, Frank?«, fragte Christian nach, obwohl er und Pia es bereits ahnten.
»Die Engel.« Frank Behnke richtete sich halb auf, sein Gesicht war verzerrt von Hass und Bitterkeit. »Kriminalrätin Dr. Nicola Engel.«
*
Es war 23 : 48. Seit mehr als vierundzwanzig Stunden hatte er keine Menschenseele gesehen, kein Geräusch gehört, außer einem nervtötenden Quietschen, das von dem Ventilator hinter einer vergitterten Klappe unter der Zellendecke stammte. Wahrscheinlich war das die einzige Frischluftzufuhr, denn es gab kein Fenster, nicht mal einen Lichtschacht. Die einzige Lichtquelle war eine verstaubte 25-Watt-Glühbirne an der Decke, für die es keinen Lichtschalter gab. Es roch unbenutzt, muffig und feucht, typischer Kellergeruch.
Kilian Rothemund lag auf der schmalen Pritsche, die Arme unter dem Kopf verschränkt und starrte gegen die rostige Metalltür, die stabiler war, als sie aussah. Bei seiner Festnahme hatte er sich nicht gefürchtet, doch allmählich kroch die Angst in ihm hoch. Er war nicht im Gewahrsam der holländischen Polizei, so viel stand fest. Aber wo war er? Wer waren die schwarzgekleideten Maskierten gewesen, die ihn auf dem Bahnsteig abgefangen hatten? Warum hielten sie ihn in diesem Loch fest? Woher wussten sie überhaupt, dass er in Amsterdam war? Hatte Leonie etwas verraten, bevor man sie gefesselt und ihr den Mund zugeklebt hatte?
Seine letzte Mahlzeit hatte aus zwei Stück Kuchen bestanden, mittlerweile knurrte sein Magen erbärmlich. Er trank das lauwarme Wasser nur schluckweise, weil er keine Ahnung hatte, wie lang es reichen musste. Man hatte ihm Gürtel und Schnürsenkel abgenommen, obwohl es in diesem Raum mit den glatten hohen Wänden nichts gab, woran er sich hätte erhängen können. Wenigstens die Uhr hatten sie ihm gelassen.
Kilian Rothemund schloss die Augen und gestattete seinen Gedanken, das modrig riechende Gefängnis zu verlassen und in angenehmere Gefilde zu fliegen. Hanna! In der Sekunde, in der sich ihre Blicke zum ersten Mal begegnet waren, war irgendetwas geschehen, etwas, das er noch nie zuvor erlebt hatte. Er hatte sie schon im Fernsehen gesehen, aber in Wirklichkeit war sie ganz anders. Sie war an jenem Abend ungeschminkt gewesen, das Haar hatte sie zu einem simplen Knoten geschlungen, dennoch besaß sie eine Ausstrahlung, die ihn fasziniert hatte.
Leonie hatte Hanna nicht leiden können. Bernds Vorschlag, Michaelas furchtbares Schicksal mit Hanna Herzmanns Hilfe an die Öffentlichkeit zu bringen, hatte ihr überhaupt nicht gefallen. Arrogant sei sie, überheblich, egoistisch, ohne einen Funken Empathie.
Nichts davon stimmte.
Kilian hatte Hanna nichts verschwiegen, er war offen und ehrlich zu ihr gewesen, selbst auf das Risiko hin, dass sie ihm nicht glaubte. Aber sie hatte ihm geglaubt. Rasch hatte sich tiefes Vertrauen zwischen ihnen entwickelt, der Tonfall und die Ausführlichkeit ihrer Mails veränderte sich, und aus anfänglicher Faszination wurde Zuneigung. Noch niemals hatte Kilian anderthalb Stunden mit jemandem telefoniert, mit Hanna jedoch war das keine Seltenheit. Für ihn, das wusste er nach zwei Wochen, war es mehr als nur eine Verliebtheit. Hanna gab ihm das Gefühl, wieder ein Mensch zu sein. Ihre feste Überzeugung, dass alles wieder gut werden, dass er sich mit ihrer Unterstützung rehabilitieren und in ein normales Leben zurückfinden würde, hatte ihm eine Kraft verliehen, die er für immer verloren geglaubt hatte. Chiara würde ihn nicht mehr länger heimlich auf dem Campingplatz besuchen müssen, vielleicht würde er seine Kinder bald ganz offiziell wieder sehen dürfen.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Seine Sehnsucht nach Hannas Stimme, ihrem unbeschwerten Lachen, ihrem warmen, weichen Körper an seinem mischte sich mit tiefer Sorge. Wie gerne wäre er jetzt bei ihr gewesen, hätte ihr Trost gespendet! Gerade jetzt, wo sich durch sie alles zum Besseren zu wenden schien, schlug das Schicksal wieder gnadenlos zu. War er schuld daran, dass man sie überfallen hatte? Sorge, Angst und die Hilflosigkeit, zu der er verdammt war, verwandelten sich in Verzweiflung. Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er richtete sich auf. Lauschte. Und tatsächlich: Schritte näherten sich. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Er stand vom Bett auf, ballte die Hände zu Fäusten und wappnete sich innerlich gegen alles, was nun kommen mochte. Die Verzweiflung verschwand. Egal, was sie jetzt mit ihm machen
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