Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
Umstrukturierung. Was für ein wachsweicher Idiot!
Meike wischte seine Hand von ihrem Arm. Die Enttäuschung war kolossal.
»Ich hab schon verstanden. Das waren alles nur Sprüche, mit denen du dein schlechtes Gewissen beruhigt hast. In echt bin ich dir scheißegal. Viel Spaß heute Abend.«
»Meike, warte! Bitte! So ist das doch nicht!«
Sie ging weiter, in der Hoffnung, er würde ihr folgen und sie trösten, sich entschuldigen oder irgendetwas sagen, aber als sie sich umdrehte, um ihm melodramatisch zu verzeihen, war er im Haus verschwunden, die Haustür geschlossen. Nie zuvor hatte sie sich so einsam und ausgeschlossen gefühlt. Die Erkenntnis, dass Zuneigung und Freundlichkeit dieser Leute nie ihr selbst als Mensch gegolten, sondern dass man sie nur als die hässliche, nervige Tochter der berühmten Hanna Herzmann akzeptiert hatte, war niederschmetternd.
Meike stapfte die Auffahrt entlang, kämpfte mit den Zornestränen. Bevor sie hinaus auf die Straße ging, schoss sie mit ihrem iPhone ein paar Fotos von den geparkten Autos. Wenn das hier eine Aktionärsversammlung war, dann war sie Lady Gaga. Irgendetwas lief hier, und sie würde herausfinden, was es war. Blöde Idioten!
*
»Großer Gott!« Pia legte den Kopf in den Nacken und blickte an der Fassade eines grauen Wohnblocks im Hattersheimer Schillerring hoch. »Ich hatte keine Ahnung, dass er jetzt hier wohnt!«
»Wieso? Wo hat er denn früher gewohnt?«, fragte Christian Kröger. Er stand an der Haustür und studierte mit zusammengekniffenen Augen die zahlreichen Klingelschildchen.
»In einem Altbau in Sachsenhausen«, erinnerte sich Pia. »Nicht weit von der Wohnung entfernt, in der Henning und ich gelebt haben.«
Sie hatte nicht schlecht gestaunt, als der Computer vorhin diese Adresse als aktuelle Wohnanschrift von Frank Behnke ausgespuckt hatte. Ihrem Chef hatte sie erzählt, sie würde Feierabend machen, aber Christian und sie hatten sich zwanzig Minuten später auf dem Parkplatz des real-Marktes in Hattersheim getroffen. Es bereitete ihr keine großen Gewissensbisse, Heimlichkeiten vor Bodenstein zu haben. Welche Rolle er auch immer bei dieser Geschichte damals gespielt haben mochte, sie war sich sicher, dass er direkt nichts damit zu tun gehabt hatte. Insofern ging es ihn nichts an, wenn sie jetzt hinter seinem Rücken ein paar Leuten Fragen stellte.
»Ah, ich hab ihn«, sagte Christian neben ihr. »Was soll ich sagen?«
»Deinen Namen«, schlug Pia vor. »Du hattest doch nie Stress mit ihm.«
Ihr Kollege drückte auf die Klingel, Sekunden später krächzte jemand »Hallo?« und Christian antwortete. Der Türöffner summte, sie betraten einen Eingangsbereich, der zwar in die Jahre gekommen, aber sehr viel gepflegter war, als es der hässliche Wohnblock von außen vermuten ließ. Der Aufzug stammte laut Herstellerschild aus dem Jahr 1976, und die Geräusche, die er auf der Fahrt in den sechzehnten Stock von sich gab, waren wenig Vertrauen erweckend. Auf dem Flur roch es nach Essen und Putzmitteln, die Wände waren mit Latexfarbe in einem hässlichen Ockerfarbton gestrichen, der den fensterlosen Gang noch trostloser wirken ließ, als er ohnehin war.
Pia, die sich nur zu gut an Behnkes abgrundtiefe Abscheu gegen solche Sozialbauten und deren Bewohner erinnerte, empfand einen Anflug von Mitleid bei dem Gedanken daran, dass er nun mitten unter ihnen hauste.
Eine Tür ging auf, Behnke erschien im Türrahmen. Er trug eine graue Jogginghose und ein fleckiges T-Shirt, war unrasiert und barfuß.
»Hättest du gesagt, dass die dabei ist, hätte ich dich nicht reingelassen«, sagte er zu Christian Kröger, und eine Schnapsfahne wehte in den Flur. »Was wollt ihr von mir?«
»Hallo, Frank.« Pia ignorierte die unfreundliche Begrüßung. »Lässt du uns rein?«
Er musterte sie mit unverhohlener Abneigung, dann trat er widerwillig zur Seite und deutete eine Verbeugung an.
»Bitte sehr. Es ist mir eine Ehre, dich in meinem Luxus-Penthouse zu empfangen«, sagte er sarkastisch. »Leider ist mir der Champagner ausgegangen, und mein Butler hat schon Feierabend.«
Pia betrat die Wohnung und war erschüttert. Sie bestand aus nur einem einzigen Raum von etwa fünfunddreißig Quadratmetern mit einer winzigen offenen Küche, die Schlafnische war durch einen Vorhang abgetrennt. Eine verschlissene Couch, ein Couchtisch, ein billiges Sideboard aus Kiefernholz, auf dem ein kleiner Fernseher ohne Ton lief. An einer Kleiderstange in der Ecke hingen Hemden, Krawatten
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