Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
der sich länger nicht gewaschen hatte. Das war der, der neben ihm saß. Er trug eine billige Kunstlederjacke und hatte kürzlich erst geraucht. Zwar half ihm das alles nicht bei der Frage danach, wohin man ihn brachte und was man von ihm wollte, aber die Konzentration auf die äußeren Umstände half ihm dabei, seine Angst zu unterdrücken. Nachdem sie eine Weile in hoher Geschwindigkeit auf einer Straße ohne nennenswerte Unebenheiten gefahren waren, drosselte der Fahrer nun das Tempo und bog in eine scharfe Rechtskurve ab. Autobahnabfahrt, vermutete Kilian. Der Blinker tickte. Der Mann auf dem Beifahrersitz hustete.
»Da vorne links«, sagte er mit gedämpfter Stimme. Deutsch ohne Akzent. Wenig später rollte das Auto über Kopfsteinpflaster und kam zum Halten. Die Türen gingen auf, Kilian fühlte sich unsanft am Arm ergriffen und aus dem Auto gezerrt. Kies knirschte in der Stille der Nacht überlaut unter seinen Schuhen, die Luft war lau. Der Duft feuchter Erde mischte sich mit ländlichen Gerüchen. Frösche quakten in der Ferne.
Es war ein seltsames Gefühl zu laufen, ohne etwas zu sehen.
»Vorsicht Stufe«, sagte jemand neben ihm, er stolperte trotzdem und knallte mit der Schulter gegen eine raue Backsteinmauer.
»Wo bringen Sie mich hin?«, fragte Kilian. Er erwartete keine Antwort und bekam auch keine. Wieder Stufen. Eine Treppe abwärts. Es roch süßlich, nach Äpfeln und Most. Ein Keller, der Intensität des Geruches nach zu urteilen, vielleicht sogar mit einer Kelter. Wieder eine Treppe, diesmal ging es hoch.
Eine Tür öffnete sich vor ihm, die Scharniere quietschten leise. Kein Kellergeruch mehr. Parkettfußboden, der unlängst geölt worden war. Und Bücher. Der Geruch von alten Büchern, nach Leder, Papier, Staub. Eine Bibliothek?
»Ah, da seid ihr ja«, sagte jemand leise. Stuhlbeine schrammten über den Boden.
»Hinsetzen!«
Dieser Befehl galt ihm. Er setzte sich auf einen Stuhl, seine Arme wurden unsanft nach hinten gebogen, seine Knöchel an die Stuhlbeine gefesselt. Mit einem Ruck zog jemand die Binde von seinen Augen. Grelles Licht bombardierte seine Netzhaut, seine Augen tränten, er blinzelte.
»Was haben Sie in Amsterdam gemacht?«, fragte ein Mann, dessen Stimme er nie zuvor gehört hatte. Diese Frage ließ alle Alarmglocken in Kilians Hirn schrillen, sie bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Er war in der Gewalt jener, die sein Leben vor zehn Jahren zerstört hatten. Sie hatten damals keine Gnade gekannt, sie würden auch heute keine kennen. Es war müßig, sich danach zu fragen, woher sie Bescheid wussten, woher sie die Information erhalten hatten, dass er nach Holland gereist war. Im Ergebnis machte es keinen Unterschied.
»Freunde besucht«, erwiderte er.
»Wir kennen die ›Freunde‹, die Sie besucht haben«, entgegnete der Mann. »Schluss jetzt mit den Spielchen. Worüber haben Sie mit denen geredet?«
Kilian nahm die Männer hinter dem Licht nur als Schemen wahr; er konnte keine Gesichter erkennen, nicht einmal Umrisse.
»Übers Segeln«, sagte Kilian.
Der Schlag kam ohne Ankündigung und traf ihn mitten im Gesicht. Sein Nasenbein knackte, er schmeckte Blut.
»Ich stelle Fragen ungern zweimal«, sagte der Mann. »Also, worüber haben Sie gesprochen?«
Kilian schwieg. Wartete mit angespannten Muskeln auf den nächsten Schlag, den nächsten Schmerz. Stattdessen drehte jemand den Stuhl, auf dem er saß, nach links. An der Wand hing ein Fernseher.
Er fuhr zusammen, als er plötzlich Hannas Gesicht sah. Man hatte sie geknebelt, Blut lief über ihre Stirn und ihre Augen waren in panischem Entsetzen aufgerissen. Die Kamera ging ein Stück auf Abstand. Hanna war nackt und gefesselt, sie kniete auf blankem Beton. Diese Dreckschweine hatten gefilmt, wie man sie geschlagen und geschändet hatte. Es zerriss Kilian das Herz. Er wandte das Gesicht ab und schloss die Augen, konnte nicht mit ansehen, wie die Frau, die er liebte, Höllenqualen und Todesangst erleiden musste.
»Schau hin!« Jemand griff in sein Haar, zerrte seinen Kopf hoch, aber er kniff die Augen zusammen. Sie konnten ihn nicht zwingen hinzusehen, aber er musste die verzweifelten Laute, die Hanna von sich gab, hören, die höhnische Stimme des Folterknechts, der sein widerwärtiges Tun detailliert kommentierte. Sein Magen zog sich zusammen, er erbrach einen Schwall gallebitterer Flüssigkeit.
»Ihr Schweine!«, stieß er hervor. »Ihr dreckigen, miesen Schweine! Was habt ihr getan?«
Schläge prasselten
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