Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
hatte sie wach gelegen und darüber nachgedacht, was sie tun konnte, um das Vertrauen zu Bodenstein zurückzugewinnen. Auf keinen Fall durfte sie diese ganze Angelegenheit einfach auf sich beruhen lassen und so tun, als wisse sie nichts. Hin- und hergerissen zwischen Loyalität zu ihrem Chef und ihrem Pflichtbewusstsein, war sie erst im Morgengrauen in einen unruhigen Schlaf voller Alpträume gefallen und hatte prompt verpennt. Sie hatte heute ohnehin einen halben Tag Urlaub, weil sie um elf zu dem Empfang nach Falkenstein fahren wollte, zu dem Emma sie eingeladen hatte.
Es war zwanzig nach acht, als sie die Tür des Besprechungsraumes aufriss, guten Morgen und eine Entschuldigung murmelte. Sie ließ sich auf den freien Stuhl zwischen Cem und Kathrin fallen und erntete einen missbilligenden Blick von Kriminalrätin Dr. Engel, die es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, an den Morgenbesprechungen des K11 teilzunehmen.
»Die Abfrage der niedergelassenen Psychologen in Höchst und Unterliederbach und der Psychiatrie im Höchster Krankenhaus hat bis jetzt nichts ergeben«, sagte Kai Ostermann gerade. »Niemand will das Mädchen dort gesehen haben. Und die Phantombilder hat auch keiner erkannt.«
»Warum bist du heute so schick?«, flüsterte Kathrin.
»Weil ich gleich auf einen Geburtstagsempfang muss«, flüsterte Pia zurück. Sie fühlte sich wie verkleidet in dem recht tief ausgeschnittenen hellblauen Sommerkleid, der dünnen Strickjacke und den Slingpumps, die so neu waren, dass sie am Spann ihres rechten Fußes schmerzhaft drückten. Jeder Kollege, der ihr auf dem Weg nach oben begegnet war, hatte sie anerkennend gemustert, einer hatte ihr sogar spaßeshalber nachgepfiffen. Vielleicht hätte sie sich darüber freuen sollen, aber ihr ging Behnkes ätzende Bemerkung über ihre Brüste nicht aus dem Kopf. Sie hasste es, auf ihre Körpermaße reduziert zu werden.
»Sind die Phantombilder fertig?«, fragte sie ihre Kollegin. Kathrin nickte und schob ihr zwei Computerausdrucke hinüber. Der Mann trug einen Bart, aber es war eindeutig nicht Bernd Prinzler. Sein Gesicht war schmaler, der Bart voller, außerdem hatte er tiefer liegende Augen und eine breitere Nase. Die Frau hatte einen dunklen Pagenschnitt und ein hübsches, aber nichtssagendes Gesicht. Keine besonderen Merkmale, die ins Auge stachen. Pia war enttäuscht. Sie hatte mehr erwartet.
»Wir machen heute weiter mit den psychotherapeutischen Praxen, die schwerpunktmäßig Kinder und Jugendliche behandeln«, fuhr Kai fort. »Das Paar sprach laut unserer Zeugin einwandfreies Hochdeutsch, das Mädchen aber mit starkem Akzent. Sie nannten das Mädchen ›unsere Tochter‹, also handelte es sich möglicherweise um ein adoptiertes Kind. Deshalb checken wir alle Adoptionsstellen.«
Bernd Prinzler würde gegen neun Uhr aus Preungesheim hier eintreffen. Für Dr. Engel, Bodenstein und Cem war er neben Kilian Rothemund der bevorzugte Verdächtige im Fall Hanna Herzmann. Pia sagte dazu nichts, sie hörte nur mit einem Ohr zu, was gesprochen wurde. Es war ein ganz und gar elendes Gefühl, zwei Leuten aus dem Team nicht mehr vertrauen zu können, und insgeheim fragte sie sich, ob Nicola Engel aus reinem Interesse an ihren Besprechungen teilnahm, oder ob sie verhindern wollte, dass die Ermittlungen in eine Richtung liefen, die ihr persönlich gefährlich werden könnte.
»Okay, so machen wir weiter«, sagte Bodenstein. »Pia, ich möchte dich gleich bei der Gegenüberstellung mit dem Zeugen und bei der Vernehmung von Prinzler dabeihaben.«
»Ich muss aber spätestens um zwanzig vor elf weg«, erinnerte sie ihren Chef. »Ich habe heute einen halben Tag Urlaub.«
»Urlaub? Mitten in laufenden Ermittlungen?« Dr. Engel hob die Augenbrauen. »Wer hat den genehmigt?«
»Ich.« Bodenstein schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Bis dahin sind wir vielleicht schon durch. Also, in zehn Minuten unten.«
»Geht klar.« Pia ergriff die Tasche, die sie heute statt des üblichen Rucksacks mitgenommen hatte, und ging in ihr Büro. Kai folgte ihr.
»Warum ziehst du nicht öfter mal ein Kleid an?«, bemerkte er.
»Fängst du etwa auch noch damit an?«, knurrte Pia.
»Womit?«, fragte Kai arglos. »Ich finde, deine Beine sind eine Augenweide.«
»Klar, meine Beine !«
»Ja, deine Beine. Seitdem ich nur noch eins habe, bin ich Beinliebhaber geworden.« Er grinste und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Was dachtest du denn?«
»Ich … ich dachte nichts«, beeilte Pia
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