Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
harten Kampf mit ihrer Tochter ausgetragen, die sich mit Händen und Füßen gegen das rosakarierte Kleidchen mit dem weißen Kragen gewehrt hatte, das sie eigentlich liebte. Geduld und Strenge hatten nicht gefruchtet, kein Argument hatte verfangen, Louisa hatte stur darauf bestanden, eine Jeans und ein langärmeliges weißes T-Shirt anzuziehen. Die Kleine war immer trotziger geworden, bis sie schließlich in hysterisches Gekreische ausgebrochen war, das selbst das Jazzgedudel übertönt hatte. Emma hatte jedoch nicht nachgegeben und dem heulenden Kind das Kleid angezogen. Jetzt saß Louisa in ihrem Zimmer und schmollte, und Emma hatte die Gelegenheit genutzt, rasch zu duschen und die Haare zu waschen.
Es war höchste Zeit, nach unten zu gehen. Der Partyservice lieferte Kanapees, Finger-Food, Gläser, Geschirr, Besteck und die Getränke für den Empfang, das Mittagessen für einen kleineren Kreis von geladenen Gästen würde von der hauseigenen Küche gekocht. Das Servicepersonal, das Corinna ebenfalls über den Partyservice gebucht hatte, stand bereits gelangweilt herum. Es würde zwar noch eine Dreiviertelstunde dauern, bis die ersten offiziellen Gäste eintrafen, aber Renate und Josef wollten vorher mit »ihren« Kindern auf den Geburtstag und das Wiedersehen anstoßen.
Emma stieß einen tiefen Seufzer aus und wünschte sich, sie könnte die Zeit vorspulen bis zum Abend. Früher hatte sie solche Feste geliebt, aber heute fürchtete sie sich vor der Begegnung mit Florian und war überhaupt nicht in Stimmung für Small-Talk mit den Gästen, die ihr alle herzlich gleichgültig waren. Sie ging ins Schlafzimmer hinüber, zwängte sich in das zitronengelbe Umstandskleid, das einzige Kleidungsstück aus ihrer Garderobe, das überhaupt noch passte, obwohl es mittlerweile auch schon zu eng war. Das Telefon klingelte. Renate!
»Emma, wo bleibt ihr denn? Die meisten sind schon da, aber ausgerechnet Florian, du und Louisa …«
»Wir kommen sofort«, unterbrach Emma ihre Schwiegermutter. »In fünf Minuten sind wir unten.«
Sie legte auf, warf sich einen nicht zu intensiven Blick im Spiegel zu und ging durch den Flur zum Kinderzimmer. Leer! Dieses verflixte Kind! Im Wohnzimmer war es auch nicht. Emma ging in die Küche.
»Louisa? Louisa! Komm, wir müssen runtergehen! Die Oma hat schon angerufen und …« Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie schlug die Hände vor den Mund und starrte ihre kleine Tochter schockiert an. Louisa saß mitten in der Küche auf dem Boden, nur mit einem Unterhöschen bekleidet, in einer Hand eine Küchenschere. Die herrlichen blonden Haare, die sie gestern Abend noch gewaschen hatten, kringelten sich rings um sie herum auf dem Fußboden.
»Oh mein Gott, Louisa! Was hast du getan?«, flüsterte Emma fassungslos.
Louisa schluchzte auf, schleuderte die Schere von sich, die klirrend unter den Tisch rutschte. Das Schluchzen steigerte sich zu einem verzweifelten Heulen. Emma ging in die Hocke. Sie streckte die Hand aus und fuhr über die stoppeligen Borsten, die in alle Richtungen von Louisas Kopf abstanden. Das Mädchen zuckte vor ihrer Berührung zurück und wandte den Blick ab, aber dann kuschelte sie sich in Emmas Arme. Ihr Körper wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt, die Tränen strömten wie Sturzbäche über ihr Gesichtchen.
»Warum hast du dir deine schönen Haare abgeschnitten?«, fragte Emma leise. Sie wiegte das Mädchen in ihren Armen und schmiegte ihre Wange an sein Köpfchen. Das war nicht aus einer Laune heraus geschehen, nicht aus Protest oder Zorn. Es brach ihr das Herz, ihr Kind so unglücklich und verängstigt zu sehen und ihm nicht helfen zu können. »Sag mir doch, wieso hast du das gemacht, meine Süße?«
»Weil ich ganz hässlich sein will«, murmelte Louisa und steckte den Daumen in den Mund.
*
Sie hatte den Wecker um acht Uhr ausgeschaltet und bis zehn weitergeschlafen. Es gab schließlich keinen Job mehr und auch sonst niemanden, der auf sie wartete. Meike hatte, nachdem sie in Oberursel gewesen war, beschlossen, nicht mehr nach Sachsenhausen, sondern nach Langenhain zu fahren. Nach dem Aufstehen hatte sie eine halbe Stunde im Whirlpool auf der Terrasse verbracht und danach ein paar Cremes und Peelings aus den zahllosen Tiegelchen und Töpfchen ausprobiert, die im Badezimmer ihrer Mutter in rauen Mengen herumstanden. Hanna gab ein Vermögen für den Kram aus, und bei ihr schien es zu wirken. Meike fand das Ergebnis bei sich selbst alles andere als
Weitere Kostenlose Bücher