Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
lassen.
Ein Kind rempelte sie unsanft an.
»’schuldigung!«, rief es atemlos und rannte weiter, gefolgt von drei anderen Kindern.
»Schon gut.« Es war Pia bereits aufgefallen, dass ungewöhnlich viele Kinder auf diesem Empfang waren, bis sie sich daran erinnerte, dass nicht nur der achtzigste Geburtstag von Emmas Schwiegervater Josef Finkbeiner, sondern auch der vierzigste Jahrestag der Gründung dieses Sonnenkinder-Vereins für ledige Mütter gefeiert wurde.
Pia blickte sich suchend um, hin und wieder kontrollierte sie ihr Handy, das sie lautlos gestellt hatte. Sie hatte ihrem Chef gesagt, sie wolle informiert werden und sei jederzeit erreichbar, falls Prinzler endlich den Mund aufmachte. Fast hoffte sie, dass das der Fall sein würde, um eine Entschuldigung zu haben, hier wieder verschwinden zu können.
An einem Stehtisch in der Nähe des Eingangs standen die Personenschützer des Ministerpräsidenten, vier Männer in schwarzen Anzügen, mit Sonnenbrillen und Knopf im Ohr, die gelangweilt Wasabi-Erdnüsse und Salzstangen kauten. Ihr Chef gratulierte gerade dem Jubilar, der mit seiner Frau auf der großen Terrasse Glückwünsche und Geschenke entgegennahm. Pia erkannte neben ihm Oberstaatsanwalt Markus Maria Frey und war kurz überrascht, bis ihr einfiel, was Christian Kröger ihr über ihn erzählt hatte: Frey war ein Zögling der Finkbeiners, der mit einem Stipendium der Stiftung seines Ziehvaters Jura studiert hatte.
Eine Frau trat an das Mikrophon des Rednerpults, das neben einer Bühne vor der herrlichen Kulisse fast verblühter Rhododendren aufgebaut worden war, und bat alle Anwesenden, Platz zu nehmen. Folgsam strebten alle Gäste auf die Stuhlreihen zu, und Pia erblickte Emma und einen dunkelhaarigen Mann mit einem Kind auf dem Arm, die gerade in der zweiten Sitzreihe Platz nahmen. Sollte sie nach vorne gehen und sie begrüßen? Nein, lieber nicht. Emma könnte auf die Idee kommen, ihr einen Platz neben sich anzubieten und dann konnte sie sich nicht einfach unauffällig absetzen.
Sie fand einen Platz in der letzten Reihe auf der linken Seite des Mittelganges und setzte sich, als der Kinderchor mit einem rührenden »Wie schön, dass du geboren bist« den offiziellen Teil der Feierstunde einleitete. Ungefähr fünfzig kleine Mädchen und Jungen in rosa und hellblauen T-Shirts krähten aus voller Brust und zauberten allen Gästen ein Lächeln auf die Gesichter. Pia erwischte sich auch bei einem gerührten Grinsen, doch dann dachte sie an Lilly und diese seltsame Drohung. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. Ihr Unterbewusstsein gab sich schon seit einer ganzen Weile große Mühe, ihr etwas zu sagen, aber sie war so beschäftigt, dass es keine freie Synapse fand. Tosender Applaus belohnte die Kinder, die nun paarweise durch den Mittelgang davonmarschierten. Und in diesem Moment machte es bei Pia »Klick«! Wie Wasser, das nach einem heftigen Gewitter durch das verschlungene Gewirr ausgetrockneter Wadis schießt, fluteten die Informationen durch ihr Gehirn, fielen wie von selbst an ihren Platz und ergaben plötzlich einen Sinn. Ihr Herz schlug einen Salto. Der rosa Stofffetzen aus dem Magen der Nixe! Die Buchstaben, die sie anhand der Fotos entziffert hatten: S-O-N-I-D.
»Wartet doch mal bitte!«, bat sie zwei kleine Mädchen und nestelte ihr Handy aus der Tasche. »Darf ich ein Foto von euch machen?«
Die zwei strahlten und nickten. Pia knipste ein Foto der beiden von vorne, ein zweites von deren Rückansicht und leitete die Bilder direkt an Kai, Christian und Bodenstein weiter. SON nenkInDer e. V. Verdammt, das war’s. Genau das war’s!
*
Der Lkw stoppte an einer roten Ampel.
»Danke«, sagte Kilian zu dem Fahrer, der extra für ihn einen großen Umweg in Kauf genommen hatte. Statt direkt auf der A3 weiter zum Flughafen zu fahren, hatte er die Autobahn bei Niedernhausen verlassen und war durch Fischbach und Kelkheim nach Bad Soden gegurkt. Er sei gut in der Zeit und könne genauso gut über die A66 und das Frankfurter Kreuz fahren, hatte er behauptet. Kilian war tief berührt von dieser unerwarteten Hilfsbereitschaft. Menschen, die er zu kennen geglaubt hatte, hatten sich in den letzten Jahren von ihm abgewandt, ihn verraten und schmählich im Stich gelassen, aber dieser wildfremde Mann, der ihm auf Vermittlung seines Lebensretters eine Mitfahrgelegenheit Richtung Frankfurt gegeben hatte, half ihm, ohne Fragen zu stellen.
»Schon gut«, grinste der Fahrer, wurde dann aber ernst.
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