Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
einen Tritt in die Seite, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich ab. Vielleicht würde sie der Polizei verraten, was sich hier unten im Heizungskeller befand. Vielleicht aber auch nicht.
*
Bodenstein wartete geduldig. Er hatte die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, betrachtete sein Gegenüber mit einer beinahe andächtigen Ruhe und sagte nichts. Bernd Prinzler gab sich große Mühe, gelassen zu wirken, aber Bodenstein bemerkte das nervöse Spiel der Kaumuskeln und die Schweißtropfen auf seiner Stirn.
Dieser beinharte Hüne, der nicht Tod und Teufel und schon gar nicht die Polizei fürchtete, machte sich große Sorgen. Er würde es nie zugeben, aber unter Muskelbergen und tätowierter Haut schlug ein weiches Herz.
»Ich hab sie damals von der Straße geholt«, sagte er unvermittelt. »Sie ging auf den Strich, für irgend so einen kleinen Luden. Ich hab zufällig mitgekriegt, wie er sie verprügelt hat, und bin dazwischengegangen. Das war vor siebzehn Jahren, sie war noch nicht mal dreißig und total am Ende.« Er räusperte sich, holte tief Luft, zuckte die Achseln. »Ich hatte ja keinen blassen Dunst, was mit ihr los war. Sie hat mir einfach gefallen.«
Bodenstein hütete sich, ihn mit einer Frage zu unterbrechen.
»Ich hab sie da rausgeholt, wir sind aufs Land gezogen, haben geheiratet. Unser Jüngster war grad ein Jahr alt, da hat sie versucht, sich umzubringen. Ist von ’ner Brücke gesprungen, hat sich beide Beine gebrochen. Sie kam in die Klapse, und da hat sie Leonie getroffen. Leonie Verges. Bis dahin hat meine Frau selber nicht gewusst, was wirklich los war mit ihr.«
Er verstummte, kämpfte einen Moment mit sich, bevor er weitersprach.
»Michaela ist schon als Baby von ihrem Alten und seinen perversen Kumpels missbraucht worden. Sie hat echt die totale Scheiße erlebt. Um das alles zu verkraften, hat sie sich innerlich aufgespalten. Also, da gab’s nicht nur die Michaela, sondern zig andere mit eigenen Namen, aber das hat sie gar nicht gewusst. Ich kann’s nicht so gut erklären wie ’ne Psychologin, aber Michaela war über Jahre hinweg ’ne andere Person, deshalb konnte sie sich an viele Sachen nicht erinnern.«
Prinzler rieb sich geistesabwesend den Bart.
»Michaela war jahrelang bei Leonie in der Therapie, und was da rauskam, war echt grausam. Darf man gar nicht drüber nachdenken, dass Leute so was ’nem Kind antun können. Ihr Alter war ’n wichtiger Mann, seine Kumpels auch. Echte Saubermänner, die Spitzen der Gesellschaft.« Er schnaubte verächtlich. »Aber in echt sind das alles miese, abartige Schweine, missbrauchen Kinder. Sogar ihre eigenen! Wenn die Kinder älter werden, müssen sie weg. Die meisten landen auf’m Strich, saufen oder fixen. Diese Dreckschweine machen das ganz geschickt, behalten sie immer im Auge. Und wenn sie Zicken machen, werden sie ins Ausland abgeschoben oder umgelegt. Die meisten von ihnen vermisst keiner. Michaela hat sie immer die ›unsichtbaren Kinder‹ genannt. Waisenkinder zum Beispiel. Nach denen kräht kein Hahn. Diese Kinderfickerorganisation ist schlimmer als die Mafia. Die schrecken vor nix zurück und aussteigen gibt’s nicht. Michaelas Familie hat auch dauernd versucht, wieder an sie ranzukommen, aber da waren sie bei mir an der falschen Adresse. Irgendwann hatte ich die Idee, dass wir so tun, als wär sie gestorben. Mit Beerdigung und allem Pipapo. Danach war Ruhe.«
Bodenstein, der eine völlig andere Geschichte erwartet hatte, hörte schweigend und mit wachsender Fassungslosigkeit zu.
»Vor ein paar Jahren«, fuhr Prinzler fort, »is ’n totes Mädchen im Main gefunden worden. Ging ganz groß durch die Presse. Michaela hat das irgendwie erfahren, obwohl ich immer versucht hab, so Sachen von ihr fernzuhalten, weil ihr’s nicht guttut. Sie hat’s trotzdem mitgekriegt und ist total ausgeflippt. War todsicher, dass da dieselben Typen hinterstecken, die ihr das alles angetan haben. Wir haben überlegt, was wir tun können. Michaela wollte das unbedingt an die Öffentlichkeit bringen. Ich hab mir gedacht, dass das saugefährlich ist. Diese Kerle sitzen überall, haben einen Rieseneinfluss. Wenn, dann musste alles absolut wasserfest sein, mit Beweisen, Namen, Orten, Zeugen und so weiter. Ich hab mit meinem Anwalt drüber gesprochen, und er meinte, das würden wir hinkriegen.«
»Sie sprechen von Kilian Rothemund?«, fragte Bodenstein.
»Ja, genau.« Prinzler nickte. »Aber Kilian hat irgendeinen Fehler gemacht, und sie
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