Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
kam ihr vor wie ein Fremder.
Renate und Josef begrüßten ihren Sohn, er küsste seine Mutter pflichtschuldig auf die Wangen und reichte seinem Vater mit einem gezwungenen Lächeln die Hand. Bevor Emma noch ein paar Worte mit ihrem Mann wechseln konnte, ergriff Renate sie beim Arm und stellte ihr alle möglichen Leute vor. Emma lächelte höflich, schüttelte Hände, Namen bekamen Gesichter, die sie – kaum gehört – schon wieder vergessen hatte. Immer wieder sah sie sich nach Florian um. Er redete mit allen möglichen Menschen, aber sie konnte an seiner Körperhaltung erkennen, wie unwohl er sich fühlte.
Emma lehnte mit Hinweis auf ihren Zustand immer wieder ab, mit Sekt anzustoßen. Endlich gelang es ihr, ihre Schwiegermutter abzuschütteln und sie ging zu Florian hinüber, der sich an einen Stehtisch am Rande des Gartens geflüchtet hatte. Louisa spielte mit ein paar anderen Kindern Fangen.
»Tolle Party«, bemerkte er.
»Ja«, erwiderte sie. Sie spürte sein Unbehagen wie ein Echo ihrer eigenen Gefühle. »Ich wollte, sie wäre schon vorbei.«
»Geht mir auch so. Was ist mit der Kleinen passiert?«
Emma erzählte es ihm, erwähnte auch die zerschnittene Handpuppe und dass Louisa gesagt hatte, sie fürchte sich vor dem bösen Wolf.
» Was hat sie gesagt?« Seine Stimme klang plötzlich brüchig, zum ersten Mal trafen sich ihre Blicke. Emma erschrak, als sie die heftige Gemütsbewegung in seinen Augen bemerkte, die er hinter einer stoischen Miene zu verbergen suchte. Seine Hand umklammerte den Stiel des Sektglases so fest, dass seine Fingerknöchel weiß unter der Haut hervortraten.
»Florian, es … es tut mir leid, aber … aber ich …« Emma brach ab.
»Ich weiß«, sagte er gepresst. »Du hast gedacht, ich hätte Louisa etwas angetan. Ich hätte sie missbraucht …«
Er gab ein Geräusch von sich und schüttelte heftig den Kopf, als wolle er einen Gedanken, eine unwillkommene Erinnerung verscheuchen.
»Was hast du denn?«, fragte sie vorsichtig.
»Angst vor dem bösen Wolf«, murmelte er düster. »Das glaube ich einfach nicht.«
Emma konnte sich keinen Reim auf sein eigentümliches Verhalten machen. Ihr Blick schweifte auf der Suche nach Louisa über die lachende und fröhlich feiernde Menge. Sie sah Corinna, die weiter hinten, dort, wo der Garten in den Park überging, telefonierend hin und her ging. Ralf stand mit den Händen in den Hosentaschen in ihrer Nähe und wirkte ähnlich angespannt und verärgert wie seine Frau. Wie unhöflich von den beiden, ihr Desinteresse so offensichtlich während des Empfangs zu demonstrieren!
Bürgermeister und Landrat waren eingetroffen, schließlich erschien der Ministerpräsident, damit waren die Honoratioren komplett.
»Sämtliche alte Kumpels von meinem Vater sind aufmarschiert. Oder besser gesagt: angerollt gekommen«, stellte Florian mit kaum verhohlener Verachtung fest. »Meine Mutter hat sie dir sicher alle vorgestellt, oder?«
»Sie hat mir gefühlte fünftausend Leute vorgestellt«, erwiderte Emma. »Ich habe keinen einzigen Namen behalten.«
»Der Alte mit der Glatze, der neben meiner Mutter steht, ist mein Patenonkel«, erklärte Florian. »Hartmut Matern, der große Guru des deutschen Privatfernsehens. Der daneben ist Dr. Richard Mehring, früher oberster Richter am Bundesverfassungsgericht. Und der kleine Fette mit der Fliege war mal der Präsident der Goethe-Universität in Frankfurt, Professor Ernst Haslinger. Ach, und den Großen mit der Silbermähne kennst du sicher aus dem Fernsehen: Peter Weißbecker. Offiziell ist er seit zwanzig Jahren vierundfünfzig.«
Emma wunderte sich über Florians Sarkasmus.
»Und da ist ja auch Nicky«, bemerkte er bitter. »Hätte meinem Vater glatt das Herz gebrochen, wenn ausgerechnet der nicht gekommen wäre.«
»Ich denke, Nicky ist dein Freund«, sagte Emma erstaunt.
»Klar, sie sind alle meine besten Freunde«, erwiderte Florian und lachte spöttisch auf. »Die ganzen Kinder aus verwahrlosten Asozialenfamilien, die Waisen, die Benachteiligten, die plötzlich meine Schwestern und Brüder waren und alle Aufmerksamkeit meiner Eltern brauchten.«
Emma beobachtete, wie Nicky sich suchend umblickte. Corinna hatte ihr Telefonat beendet und eilte auf ihn zu, Ralf folgte ihr. Sie schien es ihrem Bruder nicht nachzutragen, dass er sie geohrfeigt hatte. Die drei besprachen etwas, dann rückte Nicky seine Krawatte gerade, setzte ein Lächeln auf und ging zu Josef und Renate hinüber. Corinna und Ralf
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