Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
wann der Kerl zurückkam. Das winzige vergitterte Fensterchen hinter dem Brenner war mehr ein Belüftungsschacht als ein Fenster. Es war selbst für eine so dünne Person wie sie als Fluchtmöglichkeit ungeeignet.
Meike war noch immer fassungslos über Wolfgangs feiges Verhalten. Obwohl sie um Hilfe geschrien und gefleht hatte, hatte er sich einfach umgedreht und war weggegangen, als dieses Bartgesicht sie niedergeschlagen hatte! Die Erkenntnis, wie sehr sie sich all die Jahre in ihm getäuscht hatte, schmerzte weitaus mehr als alle Schläge, die der Kerl ihr zugefügt hatte. Zum ersten Mal, seitdem sie ihn kannte, sah Meike Wolfgang Matern, wie er wirklich war: nicht der verständnisvolle, beschützende väterliche Freund, zu dem sie ihn in ihrer Einsamkeit idealisiert hatte, sondern ein Weichei, ein rückgratloser Feigling, ein Angsthase, der mit Mitte vierzig noch immer bei seinem Papa wohnte und nicht den Mumm besaß, sich gegen ihn durchzusetzen. Welch eine bodenlose Enttäuschung!
Meike betastete ihr Gesicht. Das Nasenbluten hatte aufgehört. Sie blickte sich im Heizungskeller um auf der Suche nach einem Gegenstand, mit dem sie sich den Bärtigen vom Leib halten konnte. Aber dummerweise war der Raum akkurat aufgeräumt, ein Verdienst von Georg, Hannas zweitem Mann, der ein Ordnungsfanatiker sondergleichen gewesen war. Außer der Heizungsanlage befanden sich nur ein paar Regalbretter an der Wand. Eine aufgerollte Wäscheleine, ein Beutel mit Wäscheklammern, zwei verstaubte Rollen mit blauen Müllsäcken, ein Stapel alter T-Shirts und Unterhosen, die Georg zum Schuhe putzen und Autopolieren benutzt hatte. Nichts, was sich als Waffe eignen würde. Mist!
Der Gedanke an Stiefvater Nummer zwei erinnerte Meike jedoch an den Elektroschocker. Sie griff an ihr Hinterteil und jubilierte innerlich. Ja! Er steckte tatsächlich noch in der hinteren Tasche ihrer Jeans! Im Eifer des Gefechts hatte Wolfgangs Kumpel vergessen, sie nach möglichen Waffen zu durchsuchen; wahrscheinlich hatte er auch nicht damit gerechnet. Fest entschlossen, sich nicht kampflos in ihr Schicksal zu ergeben, bezog Meike Position neben der Tür. Er würde wiederkommen, um sie zu töten, diese Drohung war unmissverständlich gewesen.
Lange musste sie nicht warten. Nur Minuten später drehte sich der Schlüssel kratzend im Schloss, die Tür schwang mit einem Quietschen auf. Wie ein Raubtier sprang Meike den Mann an, nutzte den Überraschungseffekt und presste ihm den Elektroschocker auf die Brust. 500 000 Volt peitschten durch seinen Körper, rissen ihn von den Beinen und schleuderten ihn gegen die Wand. Er sackte in sich zusammen und glotzte Meike an wie ein verblüfftes Schaf. Sie hatte keine Ahnung, wie lang der Zustand der Lähmung anhalten würde, deshalb zögerte sie nicht lange. Ihn einfach nur hier liegen zu lassen war viel zu human; er sollte leiden, und zwar richtig. Meike steckte den Elektroschocker wieder ein, dann nahm sie die Wäscheleine aus dem Regal.
Es war nicht einfach, den schlaffen Körper mit der Nylonleine zu fesseln. Der Kerl wog fast eine Tonne, aber Meike war wütend und wild entschlossen, sich an ihm zu rächen, und sie mobilisierte Kräfte, von denen sie nicht geahnt hatte, dass sie sie überhaupt besaß. Keuchend rollte sie den bewegungsunfähigen Mann hin und her, bis sie ihn wie ein Paket verschnürt hatte.
»Da ist aus dem Sensenmann doch ganz schnell ein Sensenmännchen geworden.« Meike richtete sich auf und wischte sich das schweißnasse Haar aus dem Gesicht. Mit boshafter Befriedigung registrierte sie die Angst in seinen Augen. Hoffentlich verspürte dieses Schwein dieselbe Todesangst, wie ihre Mutter sie durchlitten haben musste, als er sie überfallen und so bestialisch zugerichtet hatte!
Er bewegte die Finger einer Hand und brabbelte unverständliches Zeug.
Meike konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihm einen zweiten Elektroschock zu verpassen, und diesmal suchte sie sich eine Stelle aus, an der es ihm richtig weh tun würde. Mitleidslos beobachtete sie, wie er die Augen verdrehte, Speichel aus seinem Mundwinkel rann und ein konvulsivisches Zucken seinen Körper schüttelte. Auf der Vorderseite seiner hellen Jeans breitete sich ein dunkler Fleck aus.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk.
»So. Ich fahre jetzt nach München. Hier findet dich kein Mensch. Bis meine Mutter aus dem Krankenhaus kommt und mal zufällig hier runtergeht, bist du nur noch ein Skelett.«
Sie versetzte ihm zum Abschied noch
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