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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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hell, Kochwäsche und Feinwäsche sortierte, schweiften Emmas Gedanken zu den Anfängen ihrer Beziehung. Als Florian und sie damals festgestellt hatten, dass sie beide aus dem Taunus stammten, hatte ihnen das in der Fremde ein Stück Heimatgefühl gegeben. Mitten im Nirgendwo hatten sie kurioserweise über gemeinsame Bekannte gesprochen, und das hatte eine Nähe vorgetäuscht, die es eigentlich nie gegeben hatte. Viel Zeit, sich richtig kennenzulernen, hatten sie nicht gehabt, denn schon nach ein paar Wochen war sie schwanger gewesen, und sie hatten ziemlich überstürzt im Camp geheiratet, weil Florian nach Indien musste. Monatelang hatten sie sich nur E-Mails geschrieben, und sie hatte sich in den Menschen verliebt, den sie hinter den wunderschönen Formulierungen, den kritischen Reflexionen, den Worten voller Zuneigung und schmeichelhafter Begierde vermutet hatte. Er schrieb von Offenheit und Vertrauen und wie glücklich er darüber sei, sie gefunden zu haben. Stand er jedoch in Fleisch und Blut vor ihr, war alles anders. Ihre Gespräche blieben oberflächlich, erreichten nie auch nur annähernd die Qualität, Tiefe und Innigkeit der zahllosen E-Mails. Immer verspürte sie den schalen Beigeschmack von Enttäuschung, eine Hemmung und die unterschwellige Angst, ihn mit ihrem Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit zu sehr zu bedrängen und zu überfordern. Umarmungen dauerten nie so lange an, wie sie es sich gewünscht hätte, deshalb konnte sie sie nicht genießen, weil sie jede Sekunde erwartete, dass er den Griff lockern, die Distanz wiederherstellen würde. Nie vermochte er ihr das Gefühl der Geborgenheit zu geben, nach dem sie sich mit jeder Faser ihres Körpers sehnte.
    Emma hatte geglaubt und gehofft, das würde sich mit der Zeit geben, er würde sich ihr öffnen und erkennen, was sie sich von ihm wünschte, aber dem war nicht so. Und seitdem sie hier im Haus seiner Eltern lebten, hatte sie mehr als je zuvor das Gefühl, ihren Mann überhaupt nicht richtig zu kennen.
    »Ach, verdammt, du machst dir zu viele Gedanken«, schalt Emma sich. »Er ist eben, wie er ist.«
    Sie ergriff eine Jeans, zog sie auf links und fasste in die Taschen, um nicht versehentlich Münzen, Tempotaschentücher oder Schlüssel mitzuwaschen. Ihre Finger berührten etwas Glattes, sie zog es hervor und erstarrte. Ungläubig starrte Emma auf den Gegenstand aus der Hosentasche, ihr Verstand weigerte sich zu begreifen, welche Bedeutung er hatte. Ihr wurde erst heiß, dann eiskalt, ihr Herz krampfte sich zusammen, und ihr sprangen schmerzhaft die Tränen in die Augen.
    Im Bruchteil einer Sekunde stürzte mit Donnergepolter ihre ganze Welt in sich zusammen. In ihrer Handfläche lag eine aufgerissene Kondompackung. Der Inhalt fehlte jedoch.
    *
    »Hallo, Frau Herzmann. Ihr Handy ist leider aus, deshalb versuche ich es auf dem Festnetz. Bitte rufen Sie mich an, egal, wie spät es ist. Es ist sehr wichtig. Danke!«
    Leonie Verges hatte noch nie bei Hanna angerufen, außerdem hatte ihre Stimme einen so dringlichen Unterton, dass Hanna zum Telefon griff und die Nummer ihrer Therapeutin wählte, obwohl sie eigentlich völlig erledigt war und sich nur noch nach einem kalten Bier und ihrem Bett sehnte. Die Frau musste die Hand auf dem Telefonhörer gehabt haben, denn sie meldete sich, kaum dass es einmal durchgeklingelt hatte.
    »Frau Herzmann, es tut mir leid, dass ich so spät störe …« Leonie Verges verstummte, weil ihr wohl einfiel, dass sie selbst ja gar nicht angerufen hatte. »Äh … ich meine, danke für den Rückruf.«
    »Ist alles in Ordnung?«, erkundigte Hanna sich. Sie kannte die Therapeutin nur ruhig und beherrscht. Das Scheitern ihrer vierten Ehe innerhalb von zwanzig Jahren hatte Hanna mehr zu schaffen gemacht, als sie je geglaubt hätte, deshalb hatte sie sich nach der Trennung von Vinzenz zu einer Psychotherapie entschlossen. Das durfte niemand wissen, denn wenn die Boulevardpresse davon Wind bekam, würde sie das am nächsten Tag in fetten Lettern auf der Titelseite der Zeitung mit den vier Buchstaben lesen. Im Internet war Hanna zufällig auf Leonie Verges gestoßen. Ihre Praxis lag weit genug, aber nicht zu weit von ihrem Wohnort entfernt, auf dem Foto sah sie sympathisch aus, und ihr Fachgebiet schien zu Hannas Problemen zu passen.
    Mittlerweile hatte sie zwölf Therapiesitzungen hinter sich und war sich nicht mehr sicher, ob es das Richtige für sie war. Es entsprach nicht Hannas Lebenseinstellung, in den Abgründen ihrer

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