Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
dir mal überlegt, welchen Eindruck das machen kann?«, hörte Emma sich sagen. »Ein erwachsener Mann und ein kleines Mädchen allein in einer Wohnung? In einem Bett?«
Sie bemerkte, wie Florians Kiefermuskulatur vibrierte, sein Blick flackerte. Einen Moment starrten sie sich stumm an.
»Du bist ja krank«, sagte er voller Verachtung.
Unten ging eine Tür.
»Florian?« Die Stimme der Schwiegermutter hallte im Hausflur.
Louisa griff nach der Hand ihres Vaters.
»Ich muss noch Oma und Opa tschüs sagen!« Sie zog Florian zur Tür.
Emma ging in die Hocke und strich ihrer Tochter über die Wange, aber die hatte keine Augen mehr für sie.
»Viel Spaß«, wünschte Emma.
Keine Sekunde länger würde sie die Tränen zurückhalten können. Sie ließ Mann und Tochter stehen und flüchtete in die Küche. Aber sie konnte dem Drang, ihnen nachzusehen, nicht widerstehen. Durchs Küchenfenster beobachtete sie, wie Florian Louisa im Kindersitz auf dem Rücksitz seines Autos festschnallte. Sein Vater stand auf den Stufen vor der Haustür, seine Mutter war bis zum Auto mitgegangen und reichte ihm lächelnd die Tasche mit Louisas Sachen. Was hatte er ihnen wohl erzählt? Ganz sicher nicht die Wahrheit.
Dann stieg Florian ein, setzte zurück und fuhr davon. Durch einen Tränenschleier sah Emma ihre Schwiegereltern dem verschwindenden Auto nachwinken. Sie presste die Faust gegen den Mund und begann zu schluchzen.
Ich habe meinen Mann verloren, dachte sie. Und jetzt verliere ich auch noch mein Kind.
*
Christian Kröger und sein Team warteten schon vor dem Haus, als Pia und Bodenstein im Rotkehlchenweg eintrafen.
»Was macht ihr denn hier?«, fragte Kröger überrascht. »Ist sie tot?«
»Wen hast du denn erwartet?«, fragte Bodenstein zurück.
»Na ja. Irgendjemand von den 13ern«, erwiderte er.
Die Kollegen vom K13 waren für Sexualdelikte zuständig, aber zwei von ihnen waren im Urlaub und der dritte nicht besonders traurig, dass die 11er den Fall übernommen hatten.
»Du musst leider mit uns vorliebnehmen«, sagte Bodenstein.
Irina Zydek hatte ihnen einen Haustürschlüssel ausgehändigt, nachdem sie vergeblich versucht hatte, Meike Herzmann zu erreichen. Das Haus, das ein Immobilienmakler wohl als ›Unternehmervilla‹ angepriesen hätte, stand am Ende einer Stichstraße, direkt am Wald, und hatte schon bessere Zeiten gesehen. Das Dach war von moosigen Flechten überzogen, der weiße Verputz hatte grünliche Flecken, die Wegplatten bis zum Haus und die Treppenstufen aus Travertin schrien geradezu nach einer gründlichen Dampfstrahlerreinigung.
»Als Erstes würd ich mal hier die Tannen fällen«, sagte Pia. »Die nehmen ja alles Licht weg.«
»Ich konnte noch nie verstehen, weshalb sich Leute Tannen in die Vorgärten pflanzen«, fand auch Bodenstein. »Schon gar nicht dann, wenn man ohnehin so nah am Wald wohnt.«
Er steckte den Schlüssel ins Schloss der Haustür.
»Stopp! Weg von der Tür!«, brüllte Kröger hinter ihnen mit einem geradezu panischen Unterton in der Stimme. Bodenstein ließ den Schlüssel los, als habe er sich verbrannt, Pia fuhr erschrocken herum und griff instinktiv nach ihrer Waffe. Hatte Kröger irgendwelche Drähte gesehen, die zum Zündmechanismus einer Bombe gehörten, oder lauerte ein Scharfschütze im Gebüsch?
»Was ist denn los?« Pia war der Schreck in alle Glieder gefahren.
»Ihr zieht Overalls und Überzieher für die Schuhe an.« Kröger kam mit zwei in Plastik verschweißten Tatortgarnituren auf sie zu. »Muss ja nicht sein, dass ihr da überall eure Haare und Hautschuppen verteilt.«
»Sag mal, drehst du langsam durch?«, fuhr Bodenstein seinen Kollegen vom Ermittlungsdienst verärgert an. »Ich hab mich beinahe zu Tode erschreckt, so wie du hier rumschreist!«
»Entschuldigung.« Christian Kröger zuckte die Achseln. »Hab ein bisschen wenig Schlaf gekriegt in den letzten Tagen.«
Pia steckte ihre Waffe weg, nahm ihm kopfschüttelnd ein Päckchen aus der Hand und riss es auf. Vor der Eingangstür zogen sie und Bodenstein die Overalls über und schlüpften in Plastikschuhüberzieher.
»Dürfen wir jetzt eintreten?«, fragte Bodenstein übertrieben höflich.
»Macht euch nur lustig«, knurrte Kröger. »Ihr müsst euch ja auch nicht mit den Erbsenzählern aus der Controlling-Abteilung rumschlagen, wenn wir zum zwanzigsten Mal eine DNS -Analyse von euch im Labor haben, nur weil ihr eure genetischen Mikrospuren an irgendwelchen Tatorten verstreut.«
»Schon gut«,
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