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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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großen Raum. Durch die halbgeöffneten Fenster drang gedämpfter Straßenlärm, eine S-Bahn rauschte vorbei.
    »Jeder Mensch, der so erfolgreich ist wie Hanna, hat Neider«, sagte Niemöller ausweichend. »Das ist doch ganz normal.«
    »Es ist aber nicht normal, jemanden zusammenzuschlagen, zu vergewaltigen und nackt im Kofferraum seines Autos einzusperren«, erwiderte Bodenstein schonungslos.
    Jan Niemöller und Irina Zydek wechselten einen raschen Blick.
    »Vor etwa drei Wochen hat Hanna unseren langjährigen Producer entlassen«, räumte Irina schließlich ein. »Aber Norman würde ihr niemals so etwas Furchtbares antun. Er kann ja keiner Fliege etwas zuleide tun. Außerdem … steht er nicht auf Frauen.«
    Es erstaunte Pia immer wieder, zu welch unglaublichen Fehleinschätzungen Leute in Bezug auf ihre Mitmenschen fähig waren. Selbst der friedfertigste Mensch konnte zu einem Totschläger oder Mörder werden, wenn er in eine scheinbar ausweglose Situation geriet, in einen emotionalen Ausnahmezustand, den er nicht mehr kontrollieren konnte. Oft spielte dann auch noch der Alkohol eine Rolle, und aus einem Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, wurde ein brutaler Affekttäter, der in einem Gewaltexzess alle Hemmungen verlor.
    »Laut Statistik werden die wenigsten Gewaltverbrechen von eiskalten Profis begangen«, gab Pia zu bedenken. »In den meisten Fällen kommen die Täter aus dem direkten Umfeld des Opfers. Wie heißt der Mann, den Frau Herzmann entlassen hat, und wo können wir ihn finden?«
    Irina Zydek diktierte ihr widerstrebend einen Namen und eine Adresse in Bockenheim.
    »Ich erinnere mich, Frau Herzmanns Namen erst kürzlich in den Schlagzeilen gelesen zu haben«, sagte Bodenstein. »Ging es da nicht um Gäste ihrer Sendung, die sich schlecht behandelt fühlten?«
    »So etwas kommt gelegentlich vor«, wiegelte der Geschäftsführer ab. »Die Leute reden sich vor der Kamera um Kopf und Kragen und merken erst später, was sie da ausgeplaudert haben. Dann beschweren sie sich und das war’s.«
    Es schien ihn erheblich zu irritieren, dass Bodenstein nicht auch am Tisch saß, sondern im Raum umherschlenderte.
    »In dem Fall war es aber doch wohl etwas mehr als nur eine bloße Beschwerde«, insistierte Bodenstein vom Fenster aus. »Frau Herzmann hat die ganze Sache dann in einer Sendung richtiggestellt.«
    »Ja, das stimmt.« Jan Niemöller rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her, sein hervorstehender Adamsapfel zuckte auf und ab.
    »Wir hätten gerne die Namen und Adressen aller Personen, die sich jemals beschwert haben.« Bodenstein zog eine Visitenkarte hervor und legte sie Niemöller hin. »Es wäre gut, wenn das zeitnah geschehen könnte.«
    »Das ist leider eine ziemlich lange Liste«, gab der Geschäftsführer zu. »Wir haben …«
    »Ach Gott!«, unterbrach Irina Zydek ihn. »Ich muss Meike anrufen! Sie hat ja keine Ahnung, was passiert ist!«
    »Wer ist Meike?«, erkundigte Bodenstein sich.
    »Hannas Tochter.« Die Assistentin ergriff ihr Handy und drückte auf eine Taste. »Sie jobbt in den Sommerferien als Produktionsassistentin bei uns. Nachdem Hanna heute Morgen nicht zur Redaktionskonferenz erschienen ist und auch nicht auf dem Handy erreichbar war, ist Meike zu ihr gefahren. Eigentlich hätte sie sich längst melden müssen.«
    *
    »Wann kommt der Papa denn endlich?«, fragte Louisa wohl zum zehnten Mal, und jede dieser Fragen traf Emma mitten ins Herz.
    »Um zwei Uhr. In fünf Minuten.«
    Die Kleine kniete auf der breiten Fensterbank des Küchenfensters, seitdem Emma sie eine Stunde früher als üblich aus der Kita abgeholt hatte, im Arm ihr Lieblingsstofftier, und schaute unablässig hinunter auf die Straße. Sie zappelte vor Ungeduld und schien es gar nicht erwarten zu können, endlich von ihr wegzukommen. Das verletzte Emma beinahe mehr als das Wissen um Florians Untreue.
    Louisa war schon immer ein Papa-Kind gewesen, obwohl Florian so wenig da war und sich nur selten um seine Tochter gekümmert hatte. Wenn er jedoch zu Hause war, waren die beiden unzertrennlich, und Emma fühlte sich ausgeschlossen. Hin und wieder war sie fast eifersüchtig gewesen auf diese geradezu symbiotische Verbindung von Vater und Tochter, in der sie sich überflüssig fühlte.
    »Da! Ich seh Papas Auto!«, rief Louisa plötzlich und kletterte wieselflink von der Fensterbank herunter. Sie schnappte ihr Täschchen, rannte zur Wohnungstür und hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere. Ihre

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