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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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wir Ihr Alibi für Donnerstagnacht überprüft haben.«
    *
    Es war kalt. Sie fror entsetzlich, und ihr Körper fühlte sich an, als sei er bleischwer. Irgendwo in ihrem Gehirn pochte eine ferne Ahnung von Schmerz und Qual. Ihr Mund war staubtrocken, die Zunge so dick angeschwollen, dass sie nicht schlucken konnte. Wie durch Watte hörte sie ein leises, regelmäßiges Piepsen und Summen.
    Wo war sie? Was war passiert?
    Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber es wollte ihr trotz aller Anstrengung nicht gelingen.
    Komm schon, dachte sie. Mach die Augen auf, Hanna!
    Es erforderte all ihre Willenskraft, das linke Auge wenigstens einen kleinen Spaltbreit zu öffnen, doch was sie sah, war verschwommen und unscharf. Dämmeriges Zwielicht, heruntergelassene Jalousien vor den Fenstern, kahle weiße Wände.
    Was war das für ein Raum?
    Schritte näherten sich. Gummisohlen quietschten.
    »Frau Herzmann?« Eine Frauenstimme. »Können Sie mich hören?«
    Hanna vernahm ein unartikuliertes Geräusch, das in ein dumpfes Stöhnen überging, und brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass sie dieses Geräusch von sich gegeben hatte.
    Wo bin ich?, hatte sie fragen wollen, aber ihre Lippen und ihre Zunge waren taub und gefühllos und gehorchten ihr nicht.
    Ein Anflug von Besorgnis kroch durch den dichten Nebel, der sie umgab. Etwas stimmte nicht mit ihr! Das hier war kein Traum, das war Realität!
    »Ich bin Frau Dr. Fuhrmann«, sagte die Frauenstimme. »Sie sind auf der Intensivstation im Höchster Krankenhaus.«
    Intensivstation. Krankenhaus. Das erklärte zumindest dieses nervenzermürbende Gepiepse und Gesumme. Aber warum war sie im Krankenhaus?
    Sosehr Hanna sich ihren Kopf zermarterte, da war keine Erinnerung, die Erklärung für ihre Lage sein könnte, nur Leere. Ein schwarzes Loch. Filmriss. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war der Streit mit Jan nach der Party gewesen. Wie aus dem Boden gewachsen hatte er auf dem Parkplatz plötzlich vor ihr gestanden, und sie hatte bei seinem Anblick einen echten Schreck gekriegt. Richtig böse war er gewesen, hatte sie grob am Arm gepackt und ihr weh getan. Wahrscheinlich hatte sie heute einen blauen Fleck am Oberarm. Worum war es überhaupt gegangen?
    Erinnerungsfetzen flatterten durch ihren Kopf wie Fledermäuse, verbanden sich zu flüchtigen, bruchstückhaften Bildern und rissen wieder auseinander. Meike. Vinzenz. Blaue Augen. Hitze. Donner und Blitz. Schweiß. Warum war Jan so wütend gewesen? Und wieder diese hellblauen Augen umkränzt von Lachfältchen. Doch kein Gesicht dazu, kein Name, keine Erinnerung. Regen. Pfützen. Schwärze. Nichts. Verdammt.
    »Haben Sie Schmerzen?«
    Schmerzen? Nein. Ein dumpfes Ziehen und Pochen, das sich nicht lokalisieren ließ, unangenehm zwar, aber nicht unerträglich. Und ihr Kopf brummte. Vielleicht hatte sie ja einen Unfall gehabt, einen Verkehrsunfall. Was für ein Auto fuhr sie eigentlich? Seltsamerweise erschreckte sie die Tatsache, dass sie sich nicht an ihr Auto erinnern konnte, mehr als der Zustand, in dem sie sich befand.
    »Sie bekommen sehr starke Schmerzmittel, die Sie müde machen …«
    Die Stimme der Ärztin klang wie ein fernes Echo, wurde undeutlicher und zerfloss in einer sinnlosen Aneinanderreihung von Silben.
    Müde. Schlafen. Hanna schloss das linke Auge und dämmerte weg.
    Als sie das nächste Mal aufwachte, war es fast dunkel vor den Fenstern. Es war beschwerlich, das eine Auge offen zu halten. Irgendwo brannte eine Lampe, die den leeren Raum nur spärlich erhellte. Hanna nahm eine Bewegung neben dem Bett wahr. Auf einem Stuhl saß ein Mann in einem grünen Kittel und mit einer grünen Kopfbedeckung, er hatte den Kopf gesenkt und seine Hand lag auf ihrem Arm, von dem aus Schläuche irgendwohin führten. Ihr Herz machte einen Satz, als sie ihn erkannte. Hanna schloss das Auge wieder. Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass sie wach war! Es war ihr unangenehm, dass er sie so sah.
    »Es tut mir leid«, hörte sie seine Stimme, die ganz fremd klang. Hatte er geweint? Ihretwegen? Ihr musste es wohl wirklich schlecht gehen!
    »Es tut mir so leid«, wiederholte er im Flüsterton. »Das habe ich nicht gewollt.«
    *
    Bodenstein saß am Schreibtisch in seinem Büro und dachte über Meike Herzmann nach. Selten hatte er eine solche Bitterkeit in einem so jungen Gesicht gesehen, so viel Angst und mühsam unterdrückten Zorn. Sie hatte unübersehbar unter einer starken Anspannung gestanden, umso eigenartiger war die

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