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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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ihr Vorschlag, ein ganzes Buch daraus zu machen, nicht mehr losgelassen. Die konzentrierte Arbeit lenkte ihn von der Frage ab, ob er irgendetwas gesagt oder getan hatte, was sie verärgert haben könnte. Bisher war sie die Zuverlässigkeit in Person gewesen, es war absolut untypisch, dass sie Termine verpasste, ohne vorher Bescheid zu geben. Es war ihm ein Rätsel, weshalb nun seit mehr als vierundzwanzig Stunden komplette Funkstille herrschte. Zuerst war ihr Handy noch eingeschaltet gewesen, aber jetzt war es aus, und sie antwortete auch auf keine seiner SMS und E-Mails. Dabei war doch alles in Ordnung gewesen, als sie sich am frühen Donnerstagmorgen voneinander verabschiedet hatten. Oder nicht? Was war geschehen?
    Er hielt inne und griff nach der Wasserflasche, die ihm fast aus der Hand rutschte. Das Kondenswasser hatte das Etikett gelöst, der Inhalt beinahe Raumtemperatur angenommen.
    Er stand auf und streckte sich. Sein T-Shirt und die Shorts waren durchgeschwitzt, er sehnte sich nach Abkühlung. Für eine Weile gab er sich der wehmütigen Erinnerung an sein klimatisiertes Büro vergangener Tage hin. Damals hatte er diesen Luxus als selbstverständlich hingenommen, genau wie die Kühle eines gut isolierten Hauses mit dreifach verglasten Fenstern. Früher hätte er sich bei einer solchen Affenhitze nie richtig konzentrieren können. Der Mensch gewöhnte sich an alles, wenn er musste. Auch an Extreme. Zum Überleben brauchte man weder zwanzig Maßanzüge noch fünfzehn Paar handgefertigte Schuhe oder siebenunddreißig Ralph-Lauren-Hemden. Kochen konnte man auch auf einer einzigen Herdplatte mit zwei Töpfen und einer Pfanne, dazu brauchte es keine Küche für fünfzigtausend Euro mit Granitarbeitsplatte und Kochinsel. Alles überflüssig. Das Glück lag in der materiellen Beschränkung, denn wenn man nichts mehr hatte, musste man auch nicht mehr befürchten, etwas zu verlieren.
    Er klappte den Laptop zu und löschte das Licht, um nicht noch mehr Mücken und Motten anzulocken, nahm eine eisgekühlte Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich draußen vor das Vorzelt auf die leere Bierkiste. Auf dem Campingplatz herrschte ungewöhnlich früh Ruhe, die Mischung aus Hitze und Alkohol schien selbst die feierwütigsten Nachbarn zu paralysieren. Er nahm einen Schluck und blickte in den dunstigen Nachthimmel, an dem Sterne und Mondsichel nur verschwommen zu erkennen waren. Das Feierabendbier war eines der wenigen Rituale, an dem er festhielt. Früher hatte er es allabendlich mit Kollegen oder Mandanten in einer Bar irgendwo in der City genossen, ein Absacker, bevor er nach Hause gefahren war. Das war lange her.
    In den letzten Jahren hatte es kaum noch etwas gegeben, an dem sein Herz gehangen hatte, und damit hatte er recht gut überlebt. Doch nun war es anders. Wieso war es ihm bloß nicht gelungen, professionelle Distanz zu wahren? Ihr Schweigen verunsicherte ihn mehr, als er sich eingestehen mochte. Zu viel Nähe war genauso schädlich und gefährlich wie falsche Hoffnung. Erst recht für einen Geächteten wie ihn.
    Motorengeräusch näherte sich. Ein sattes, dunkles Blubbern, der typische Harley-Sound in niedrigem Drehzahlbereich. Er wusste sofort, dass der Besuch ihm galt, und hob alarmiert den Kopf. Noch nie war einer von den Jungs hier auf dem Campingplatz aufgetaucht. Scheinwerferlicht streifte sein Gesicht. Die Maschine stoppte vor dem Gartenzaun, der Motor brummte im Leerlauf, er erhob sich von der Getränkekiste und ging zögernd näher heran.
    »Hey, avvoccato «, grüßte der Fahrer ohne abzusteigen. »Ich hab ’ne Nachricht von Bernd. Wollte er nich per Telefon machen.«
    Er erkannte ihn im schwachen Lichtschein der Laterne, die fünfzig Meter entfernt stand, und erwiderte seinen Gruß mit einem Nicken.
    Der Mann reichte ihm einen zusammengefalteten Umschlag.
    »Is dringend«, sagte er noch mit halblauter Stimme und verschwand wieder in der Nacht.
    Er blickte ihm nach, bis das Motorengeräusch in der Ferne verklungen war, dann ging er in seinen Wohnwagen und riss den Umschlag auf.
    »Montag, 19:00«, stand auf dem Zettel. »Prinsengracht 85. Binnenstad. Amsterdam.«
    »Endlich«, dachte er und holte tief Luft. Auf diesen Kontakt hatte er lange warten müssen.
    *
    Früher war Freitag ihr Lieblingswochentag gewesen. Immer hatte Michaela sich auf den Freitagnachmittag gefreut, wenn sie in den Reitstall zum Voltigieren gehen konnte. Aber seit zwei Wochen war sie nicht mehr da gewesen. Letzte Woche hatte

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