Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
übernächtigtes Aussehen.
»Neulich abends bin ich zufällig durch Langenhain gefahren«, sagte Vinzenz Kornbichler nun. Er zögerte kurz, bevor er weitersprach. »Es war schon spät, kurz vor Mitternacht, und vor dem Haus stand ein Auto, das ich nicht kannte. Ein schwarzer Hummer. Ich dachte, na super, da ist ja schon mein Nachfolger im Haus. Eigentlich wollte ich gleich wieder fahren, aber ich … ich konnte nicht widerstehen, bin ausgestiegen und in den Garten gegangen. Da war nicht nur ein Kerl, sondern gleich zwei.«
Pia warf Bodenstein einen kurzen Blick zu.
»Wann war das?«, erkundigte sie sich.
»Hm … vorgestern. Mittwochabend«, antwortete Kornbichler. »Ich hatte ein komisches Gefühl. Auch wenn Hanna mich rausgeschmissen hat, ich mag sie noch immer.«
»Warum hatten Sie ein komisches Gefühl?«, hakte Pia nach.
»Dieser eine Typ, ein Riesenvieh mit Bart und Kopftuch … also, so einem will man nicht mal am helllichten Tag begegnen. Der war so was von tätowiert, dass er wie ein Schlumpf aussah. Komplett blau, bis aufs Gesicht.«
»Und was haben Sie beobachtet?«, fragte Bodenstein. »Haben die Männer Ihre Frau bedroht?«
»Nein. Die saßen da nur, haben was getrunken und geredet. Gegen halb eins ist der Riesenschlumpf weggefahren, Hanna ist ein paar Minuten später mit dem anderen in ihr Auto gestiegen. Ich bin ihnen nachgefahren.« Vinzenz Kornbichler lächelte verlegen. »Sie dürfen mich nicht für einen Stalker halten, aber ich hab mir schon irgendwie Sorgen um Hanna gemacht. Sie hat mir nie viel über ihre Recherchen erzählt, aber in ihrer Sendung sind oft ganz schöne Psychopathen.«
»Wo ist sie hingefahren?«
»In Diedenbergen hab ich festgestellt, dass mein Tank total leer war. Ich musste auf der Autobahn tanken, und damit hab ich sie aus den Augen verloren.«
»Wo haben Sie getankt? An der Raststätte Weilbach?« Pia hatte die Geographie des Main-Taunus-Kreises ziemlich gut im Kopf.
»Ja, genau. Um die Uhrzeit hat ja sonst nirgendwo mehr eine Tankstelle geöffnet.«
Sie musterte ihr Gegenüber argwöhnisch. Hanna Herzmann war sechsunddreißig Stunden später im Kofferraum ihres Wagens gefunden worden, keine fünfhundert Meter von genau der Autobahnraststätte entfernt, an der ihr geschasster Ehemann getankt hatte. Ein bloßer Zufall?
»Haben Sie sich das Kennzeichen des schwarzen Hummer gemerkt?«, fragte Bodenstein.
»Leider nicht. Das war so ein kleines Schild, wie bei einem Moped, und es war dunkel.«
Es konnte durchaus stimmen, was Vinzenz Kornbichler da erzählte. Die benutzten Gläser auf dem Couchtisch im Wohnzimmer von Hanna Herzmanns Haus waren ein möglicher Hinweis auf Besucher.
Doch die Tatsache, dass Kornbichler immer wieder zum Haus seiner Nochehefrau fuhr, war ein Indiz dafür, dass er nach wie vor starke Gefühle für sie hegte. Der Mann war gekränkt, verletzt, pleite und eifersüchtig, alles zusammen ein hochexplosives Gemisch, bei dem ein Funke ausreichte, um es zu entzünden. War der Anblick von Hanna, die mit einem fremden Mann nachts ins Auto stieg, dieser Funke gewesen?
»Das war am Mittwoch«, sagte sie. »Und was war am Donnerstag?«
»Das hatte ich doch schon gesagt.« Kornbichler legte die Stirn in Falten.
»Nein, hatten Sie nicht.« Pia lächelte liebenswürdig. »Also? Was haben Sie am Donnerstag am Haus gemacht?«
»Nichts. Nichts Bestimmtes. Ich hab einfach eine Weile im Auto gesessen.« Seine Körpersprache verriet seine Nervosität. Die Hände, die mit dem Smartphone spielten, der unstete Blick, das Wippen des Fußes. Hatte er zu Beginn des Gesprächs noch einen souveränen, gelassenen Eindruck gemacht, so verließ ihn seine aufgesetzte Selbstsicherheit mit jeder Sekunde, die verstrich.
Pia nahm die Klarsichthülle mit den Fotos von Hanna Herzmanns bis zur Unkenntlichkeit entstelltem Gesicht aus ihrer Tasche und hielt sie Kornbichler kommentarlos vor die Nase. Er warf einen Blick darauf und zuckte zurück.
»Was soll das?« Die Empörung war gespielt, und das nicht mal gut.
»Ich schlage vor, Sie begleiten uns, Herr Kornbichler.« Bodenstein erhob sich.
»Aber wieso? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich …«, regte sich der Mann auf.
»Sie sind vorläufig festgenommen«, unterbrach Pia ihn und betete die offizielle Belehrung nach den Paragraphen 127 und 127b der Strafprozessordnung über seine Rechte und Pflichten als Beschuldigter herunter. »Da Sie keinen festen Wohnsitz haben, dürfen Sie auf Staatskosten übernachten, bis
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