Böses Herz: Thriller (German Edition)
keinen müden Fünfer wert.«
»Ich verstehe durchaus. Stan wird uns beide beschützen, bis…«
»Stan, der Mann auf dem Einer-für-alle-und-alle-für-einen-Gruppenbild mit Ihrem verstorbenen Mann und den Hawkins-Zwillingen? Dieser Stan?«
»Sie glauben doch nicht …«
»Warum nicht?«
»Stan war Marinesoldat.«
»Ich auch. Und sehen Sie nur, was aus mir geworden ist.«
Damit hatte er nicht unrecht. Sie zögerte und meinte dann eigensinnig: »Mein Schwiegervater würde mich und Emily bis zu seinem letzten Atemzug verteidigen.«
»Vielleicht. Genau kann ich das noch nicht sagen. Und bis ich das weiß, bleiben Sie bei mir und melden sich bei niemandem.«
Ehe sie etwas darauf erwidern konnte, hörten sie Sirenen heulen. Innerhalb weniger Sekunden tauchten zwei Streifenwagen am Horizont auf. Sie hielten geradewegs auf sie zu.
»Offenbar hat Doral den Leichnam seines Bruders gefunden.«
Auch wenn sich all seine Muskeln anspannten und er das Lenkrad mit aller Kraft umklammert hielt, behielt Coburn die Geschwindigkeit bei und blickte stur geradeaus. Die Streifenwagen rasten jaulend an ihnen vorbei.
»Polizeiauto!«, jubelte das Mädchen. »Mama, da war ein Polizeiauto!«
»Das sehe ich, Herzchen.« Honor lächelte ihr zu und sah Coburn dann wieder an. »Emily braucht bald etwas zu essen. Und einen Schlafplatz. Wir können nicht ewig in einem gestohlenen Wagen durch die Gegend kreuzen und vor der Polizei fliehen. Was wollen Sie mit uns machen?«
»Das wird sich in Kürze zeigen.«
Nach einem Blick auf die Uhr im Armaturenbrett überschlug er, dass es an der Ostküste schon nach neun Uhr war. Bei der nächsten Abzweigung bog er in eine kleine Nebenstraße. Wenig später ging die Asphaltdecke in Schotter über und der Schotter in einen holprigen Feldweg, der schließlich an einem mit Entengrütze überzogenen Altwasserarm endete.
Er hatte drei Handys zur Verfügung. Das von Fred. Abgesehen von dem letzten Anruf bei seinem Bruder war das Verbindungsverzeichnis leer. Aber nachdem Fred dieses Handy für seine illegalen Geschäfte benutzt hatte, hätte es Coburn auch überrascht, wenn er die Nummer des Bookkeepers im Kurzwahlspeicher gefunden hätte. Trotzdem würde er es behalten. Allerdings nahm er aus Sicherheitsgründen den Akku heraus.
Honors Handy konnten sie nicht benutzen, weil die Behörden es orten konnten. Auch daraus entfernte er den Akku.
Womit nur noch Coburns Handy für den Notfall blieb, jenes Prepaid-Gerät, das er schon vor Monaten gekauft, aber gestern zum ersten Mal benutzt hatte. Er schaltete es ein, stellte fest, dass es Empfang hatte, und tippte in der Hoffnung, dass sein Anruf durchging, eine Nummer ein.
»Wen rufen Sie an?«, wollte Honor sofort wissen.
»Sobald ich auch nur eine Bewegung mache, geraten Sie in Panik.«
»Wollen Sie mir das verübeln?«
»Eigentlich nicht.«
Sein Blick glitt über die blauen Flecken an ihren Ellbogen und Oberarmen. An den Handrücken sah man ebenfalls Blutergüsse, nachdem sie mit aller Kraft gegen das Kopfende des Bettes geschlagen hatte, an das er sie gefesselt hatte. Es tat ihm leid, dass er körperlichen Zwang hatte anwenden müssen, aber er würde sich nicht dafür entschuldigen. Hätte er es nicht getan, wäre sie jetzt schwer verletzt oder tot.
»Sie brauchen keine Angst haben, dass ich Ihnen noch mal wehtue«, erklärte er ihr. »Oder dass ich Sie mit einer Waffe bedrohe. Sie haben also keinen Grund, so zappelig zu sein.«
»Wenn ich ›zappelig‹ bin, dann weil ich heute Morgen gesehen habe, wie in meinem Haus ein Mann erschossen wurde.«
Was es dazu zu sagen gab, hatte er bereits gesagt, und er würde sich kein zweites Mal dafür rechtfertigen. Falls man Gelegenheit bekam, einen brutalen Verbrecher wie Fred Hawkins auszuschalten, durfte man nicht erst lang überlegen, ob das richtig war. Man drückte den verfluchten Abzug durch. Oder man endete selbst tot am Boden.
Wie viele Menschen hatte er schon sterben sehen? Wie viele hatte er gewaltsam sterben sehen? Zu viele, um sie zu zählen oder um sich auch nur an alle zu erinnern. Dennoch war es für eine Grundschullehrerin mit klaren grünen Augen vermutlich ein traumatisches Erlebnis gewesen, das sie für alle Zeiten mit ihm in Verbindung bringen würde. Dagegen konnte er wohl nichts machen. Trotzdem würde sie nach diesem Anruf hoffentlich nicht mehr jedes Mal zusammenzucken, wenn er auch nur einen Finger krümmte.
Er wollte gerade wieder auflegen und es erneut versuchen, als er eine
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