Böses Herz: Thriller (German Edition)
Gesichtszüge war sie bei den Freiern im Massagesalon besonders begehrt gewesen. Die Männer liebten es, von ihren kleinen Händen gestreichelt zu werden. Viele hatten ausdrücklich nach ihr verlangt. Sie hatte einen ganzen Stamm von Kunden gehabt. Ihre Zerbrechlichkeit machte die Männer an, weil sie sich männlicher, größer, härter, stärker fühlten, wenn sie über ihr ins Schwitzen kamen.
Wie Tausenden anderen hatte man auch ihr und ihrer Familie ein besseres Leben versprochen, wenn sie in die Vereinigten Staaten käme. Man hatte ihr einen Job in einem schicken Hotel oder eleganten Restaurant garantiert, wo sie in einer Woche mehr Geld machen würde, als ihr Vater in einem ganzen Jahr verdiente.
Wenn sie dann in wenigen Jahren ihre Schulden bei jenen abgearbeitet hätte, die sie in die Vereinigten Staaten geschmuggelt und ihr dort auf die Beine geholfen hatten, würde sie anfangen können, ihrer Familie Geld zu schicken, möglicherweise sogar so viel, dass ihr jüngerer Bruder in die USA nachkommen konnte. Die Verheißungen hatten geradezu märchenhaft geklungen. Unter Tränen, aber voller Hoffnungen hatte sie sich von ihrer Familie verabschiedet und war auf den Lastwagen geklettert, der sie in Richtung Grenze bringen sollte.
Der Höllentrip hatte fünf Tage gedauert. Sie und acht andere waren auf die Ladefläche eines Pick-ups gepackt und unter einer Sperrholzplatte versteckt worden. Während der Fahrt hatten sie kaum zu essen und zu trinken bekommen und sich nur alle paar Stunden erleichtern dürfen.
Eines der anderen Mädchen, nicht älter als Isobel, hatte unterwegs Fieber bekommen. Isobel hatte alles versucht, damit man dem Mädchen die Schwäche nicht anmerkte, trotzdem war es dem Fahrer und dem schwer bewaffneten Beifahrer bei einer der seltenen Rastpausen aufgefallen. Der Lastwagen war ohne das Mädchen weitergefahren. Es war am Straßenrand zurückgeblieben. Die anderen wurden gewarnt, dass sie ebenfalls zurückgelassen würden, falls sie auffielen oder Ärger machen sollten. Unzählige Male hatte sich Isobel gefragt, ob das Mädchen wohl gestorben war, bevor es jemand gefunden hatte.
Doch damit hatte Isobels Albtraum erst begonnen.
Als der Lastwagen endlich sein Ziel erreicht hatte, wurde sie in aufreizende Kleider gesteckt, die ihr von ihrem Lohn abgezogen wurden, und musste in einem Bordell arbeiten.
Sie kannte keinen Menschen. Selbst die Mädchen, die zusammen mit ihr in die USA geschmuggelt worden waren und mit denen sie aus Angst und Verzweiflung eine Art Freundschaft geschlossen hatte, waren auf andere Bordelle verteilt worden. Sie wusste nicht einmal, in welcher Stadt und in welchem Bundesstaat sie gelandet war. Als ihr der erste Mann etwas ins Ohr raunte, während er sie entjungferte, verstand sie kein einziges Wort.
Aber auch wenn sie kein Wort verstanden hatte, so verstand sie doch nur zu gut, was dieser Akt bedeutete. Damit war sie befleckt, sie war verdorbenes Gut. Kein guter und fürsorglicher Mann würde sie jetzt noch heiraten wollen. Sie war entehrt. Ihre Familie würde sie verstoßen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Freier weiterhin zu »unterhalten« oder sich umzubringen. Nur dass der Selbstmord eine Todsünde und eine sichere Fahrkarte in die ewige Verdammnis war.
Kurz gesagt, hatte sie nur noch die Wahl, in welcher Art von Hölle sie leiden würde.
Darum hatten ihre Augen, die so schwarz und fließend wie Tinte waren, Diego so verletzt und gehetzt angesehen, als er ihr das erste Mal begegnet war. Er war in den Massagesalon gekommen, um den Manager zu warnen, weil der sich weigern wollte, für den Transportschutz einer frischen Ladung an Mädchen zu zahlen.
Diego hatte Isobel bemerkt, als sie, eine durchsichtige Satinrobe um den schlanken Leib gehüllt, mit tränenüberströmtem Gesicht aus einem der »Massageräume« gekommen war. Als sie ihn dabei ertappte, wie er sie ansah, hatte sie sich verschämt abgewandt.
Ein paar Tage darauf war er zurückgekehrt, diesmal als Freier. Er verlangte ausdrücklich nach ihr. Sie erkannte ihn, sobald sie das Zimmer betrat. Auffallend verzagt begann sie sich auszuziehen. Er versicherte ihr eilig, dass er nur mit ihr reden wolle.
Während der nächsten Stunde erzählte sie ihm, was ihr widerfahren war. Es war weniger ihr tragisches Schicksal als die hypnotisierende Art, in der sie es schilderte, die Diego dazu bewog, ihr seine Hilfe zur Flucht anzubieten. Sie packte seine Hand, küsste sie und ließ Tränen darauf
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