Böses Herz: Thriller (German Edition)
Schenkel, die nicht mehr in Shorts steckten wie gestern, sondern in langen Jeans. Gelegentlich warf sie einen Blick über die Schulter auf das kleine Mädchen, das auf dem Rücksitz saß und mit seinem roten Dingsbums spielte. Das und der verschlissene Lumpen, den sie als »Kuscheldecke« bezeichnete, waren zusammen mit Honors Handtasche die einzigen Gegenstände, die beide hatten mitnehmen dürfen. Er hatte sie im wahrsten Sinn des Wortes mit nichts als ihren Kleidern am Leib aus dem Haus gescheucht.
Immerhin waren es ihre eigenen Kleider. Er trug die eines Toten.
Nicht zum ersten Mal.
Flüsternd fragte Honor: »Glauben Sie, sie hat was gesehen?«
»Nein.«
Vor ihrer Flucht aus dem Haus hatte Honor sich ein Spiel einfallen lassen, bei dem Emily die Augen geschlossen halten musste, bis sie im Freien waren. Damit es schneller ging, hatte Coburn die Kleine aus ihrem rosa Prinzessinnenzimmer zum Auto getragen. Er hatte eine Hand auf ihren Hinterkopf gedrückt und ihr Gesicht gegen seinen Hals gepresst, damit sie bei diesem Spiel nicht mogeln und die Augen aufmachen konnte, wobei sie Fred Hawkins’ Leichnam auf dem Wohnzimmerboden gesehen hätte.
»Warum haben Sie mir nicht schon gestern erzählt, dass Sie FBI-Agent sind? Warum haben Sie mich so überfallen?«
»Weil ich Ihnen nicht vertraut habe.«
Die Ungläubigkeit, mit der sie ihn ansah, wirkte nicht gespielt.
»Sie sind Eddie Gillettes Witwe«, erklärte er ihr. »Das allein ist schon ein Grund, Ihnen gegenüber misstrauisch zu sein. Und was hätte ich denn denken sollen, als ich noch dazu das Foto sah, auf dem er und sein Dad neben den zwei Kerlen stehen, die vor meinen Augen sieben Menschen niedergemetzelt haben? Jedenfalls war und bin ich überzeugt, dass Sie das haben, was Eddie damals versteckt hatte, was immer das auch sein mag.«
»Aber ich habe es nicht.«
»Vielleicht. Oder aber Sie haben es und wissen nur nicht, dass Sie es haben. Jedenfalls glaube ich nicht mehr, dass Sie mich an der Nase herumführen wollen.«
»Was hat Sie umgestimmt?«
»Ich glaube, selbst wenn Sie Dreck am Stecken hätten, hätten Sie mir alles gegeben, was ich haben will, um Ihr kleines Mädchen zu beschützen.«
»Stimmt.«
»Zu diesem Schluss bin ich kurz vor der Morgendämmerung gekommen. Eigentlich wollte ich Sie von da an in Frieden lassen. Dann sah ich Hawkins auf Ihr Haus zusteuern. Also musste ich neu planen.«
»Und Sie wollen mir ernsthaft weismachen, dass Fred Sam Marset umgebracht hat?«
»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Er sah sie kurz an und erkannte, dass sie auf eine ausführlichere Erklärung wartete. »In der Lagerhalle sollte am Sonntag um Mitternacht ein Treffen stattfinden.«
»Ein Treffen von Marset und Fred?«
»Von Marset und dem Bookkeeper.«
Sie massierte ihre Stirn. »Was reden Sie da?«
Er holte kurz Luft und versuchte seine Gedanken zu ordnen. »Die Interstate 10 durchschneidet Louisiana knapp nördlich von Tambour.«
»Sie verläuft zwischen Lafayette und New Orleans.«
»Genau. Die I-10 ist die südlichste Schnellstraßenverbindung zwischen Atlantik- und Pazifikküste, und weil sie so nah an der mexikanischen Grenze und am Golf verläuft, dient sie Drogendealern, Waffenschiebern, Menschenhändlern als Pipeline. Die wichtigsten Absatzmärkte sind die Städte direkt an der Straße – Phoenix, El Paso, San Antonio, Houston, New Orleans –, in die wiederum wichtige Nord-Süd-Verbindungen münden.«
»Kurz und knapp …«
»Ist die I-10 dadurch mit jeder größeren Stadt in den USA verbunden.«
Sie nickte wieder. »Okay.«
»Jedes Fahrzeug auf dieser Straße – von den Sattelschleppern angefangen über die gewöhnlichen Lieferwagen bis zu den Familienautos – könnte Drogen, Pharmazeutika, Waffen oder weibliche wie männliche Zwangsprostituierte transportieren.« Er sah sie wieder an. »Sie folgen mir noch?«
»Sam Marset gehörte die Royale Trucking Company.«
»Dafür gibt’s ein Fleißbildchen.«
»Wollen Sie allen Ernstes behaupten, Sam Marsets Fahrer hätten bei diesen illegalen Transporten mitgemischt?«
»Nicht seine Fahrer. Sondern Sam Marset persönlich, der Kirchenvorstand und Beisitzer in diesem Denkmaldingsbums. Und er hat nicht nur mitgemischt. Er steckt bis zum Hals drin. Steckte. Sonntagnacht war für ihn Schluss mit dem Verbrecherleben.«
Sie sann über seine Worte nach, kontrollierte kurz, ob ihre Tochter noch mit ihrem Spielzeug beschäftigt war, und fragte dann: »Und wo kommen Sie ins
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