Böses Herz: Thriller (German Edition)
vergessen, nicht mehr auf Nummer sicher zu gehen, auf alles zu pfeifen, was sie wusste, und ihren Gefühlen zu folgen. Das Gefühl war so kräftig, dass es ihr Angst machte. Sie fürchtete es noch mehr, als sie den Mann fürchtete, der sie mit stahlblauen Augen fixierte.
Trotzdem ließ sie sich davon leiten.
»Haben Sie nicht gehört, was Coburn Ihnen erklärt hat, Mr. Hamilton? Wenn Sie uns noch mehr Agenten hinterherschicken, werden Sie den Bookkeeper nie erwischen.« Ehe Hamilton etwas darauf erwidern konnte, hatte sie Coburn das Handy zurückgereicht.
Er nahm es ihr ab und sagte: »Zu blöd, Hamilton. Der Handel ist geplatzt.«
»Haben Sie die Frau einer Gehirnwäsche unterzogen?«
»Achtundvierzig Stunden.«
»Oder sie gefoltert?«
»Achtundvierzig Stunden.«
»Mein Gott. Geben Sie mir wenigstens eine Telefonnummer.«
»Achtundvierzig Stunden.«
»Na schön, verflucht noch mal! Ich gebe Ihnen sechsunddreißig. Sechsunddreißig, und das ist …«
Coburn legte auf, ließ das Telefon auf die Koje fallen und fragte Honor: »Glauben Sie, dass dieser Kahn noch schwimmt?«
23
A ls Tom nach Hause kam, war Janice in ihr Handyspiel versunken. Sie merkte erst, dass er da war, als er hinter sie trat und sie ansprach und sie damit fast zu Tode erschreckte. »Tom! Tu so was nicht!«
»Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich dachte, du hättest gehört, wie ich ins Haus gekommen bin.«
Er versuchte vergeblich, sich die Verbitterung nicht anhören zu lassen. Sie spielte Worträtsel mit jemandem, den sie nie kennengelernt hatte und der am anderen Ende der Welt lebte. Währenddessen brach seine Welt auseinander. Ihm erschien das ungerecht. Schließlich versuchte er mit allem, was er tat, ihr zu gefallen, ihr zu imponieren, ihr elendes Leben ein wenig zu verbessern.
Natürlich war es nicht ihre Schuld, dass er so einen schlechten Tag gehabt hatte. Es wäre ungerecht, sie dafür büßen zu lassen. Trotzdem war er niedergeschlagen und deprimiert, darum ließ er, statt einen Streit vom Zaun zu brechen, einfach seinen Aktenkoffer bei ihr im Zimmer stehen und ging allein weiter in Lannys Zimmer.
Der Junge hatte die Augen geschlossen. Tom fragte sich, ob Lanny irgendwann geblinzelt und seine Lider einfach nicht wieder geöffnet hatte oder ob er tatsächlich schlief. Ob er wohl träumte? Und wenn, wovon mochte er wohl träumen? Sich solche Fragen zu stellen war reiner Masochismus. Die Antworten würde er nie erfahren.
Während er unverwandt auf den reglos liegenden Jungen blickte, erinnerte er sich an etwas, das kurz nach Lannys Geburt passiert war, als er und Janice damit klarzukommen versuchten, wie schwer seine Behinderung war und wie sehr sie ihre Zukunft bestimmen würde. Damals hatte sie ein katholischer Priester besucht. Er war gekommen, um ihnen Trost und Seelenfrieden zu spenden, aber seine Plattitüden über den göttlichen Willen hatten ihn und Janice nur aufgeregt und wütend gemacht. Keine fünf Minuten nach seiner Ankunft hatte Tom den Geistlichen wieder aus dem Haus gescheucht.
Dennoch hatte er damals etwas gesagt, was Tom im Gedächtnis geblieben war. Er hatte erzählt, dass manche Menschen glaubten, äußerlich eingeschränkte Seelen wie Lanny besäßen einen direkten Draht zu Gottes Herzen und würden, obwohl sie sich uns hier auf Erden nicht verständlich machen könnten, ständig mit dem Allmächtigen und seinen Engeln kommunizieren. Bestimmt war auch das nur ein banaler Trostspruch, den der Priester aus seinem Guter-Hirte-Handbuch hatte. Aber manchmal wünschte sich Tom sehnlichst, dass es so wäre.
Jetzt beugte er sich vor und küsste Lannys Stirn. »Leg ein gutes Wort für mich ein.«
Als er in die Küche kam, hatte Janice ihm schon etwas zu essen gemacht und stellte eben einen einzelnen Teller auf den Tisch. »Ich wusste nicht, wann oder ob du überhaupt heimkommen würdest, darum habe ich nichts gekocht«, erklärte sie bedauernd.
»Das reicht mir schon.« Er setzte sich an den Tisch und breitete die Serviette über den Schoß. Obwohl der Shrimpssalat kunstvoll mit gebuttertem Baguette und Melonenschnitzen angerichtet war, hatte er keinen Appetit.
»Möchtest du ein Glas Wein dazu?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich muss noch mal ins Büro. Ich sollte dort sein, falls noch irgendwas passiert.«
Janice setzte sich ihm gegenüber. »Du siehst erledigt aus.«
»Ich bin auch erledigt.«
»Nichts Neues von den Entführungsopfern?«
»Nichts, dabei suchen alle bis hinunter zum
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