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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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über den Teich und machte Fotos von den Hockeyspielern. Einmal fiel sie hin und ein paar Leute auf sie drauf, sie bildeten einen Haufen aus Armen und Beinen und Köpfen. Es war nichts passiert. Sie lachten. Sie hatten Spaß.
    Sie kamen ganz nah an mir vorbei, als sie den Teich verließen, um zu einem Bus des Erlenhofs zu gehen, der sie heute hierhergebracht hatte. Mein Vater, der schon drei Glühweine getrunken hatte, erzählte einen Witz, auf Russisch, sehr laut. Und lachte selber am lautesten.
    Sie schauten einfach durch mich hindurch, als sie vorbeigingen. Und ich tat auch, als seien sie Fremde. Aber ich wusste genau, dass sie alles registrierten. Denn nachher steckten sie die Köpfe zusammen und redeten. Und ich wusste: Jetzt lästern sie über dich. Und über deine Eltern.
    Wir blieben dann nicht mehr lange. Mama war durch das Gespräch mit der Kollegin noch mehr deprimiert. Sie hatte vielleicht gehofft, dass der Chef die Kündigung zurückziehen
würde, aber nun wusste sie offenbar, dass diese Hoffnung sinnlos war.
    Papa versuchte, uns mit einem neuen Witz aufzuheitern, aber es nervte mich, dass er Russisch mit uns redete. Ich schnauzte: »Kannst du nicht Deutsch sprechen?«
    Er schaute mich fassungslos an. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
    Ich gab ihm keine Antwort. Zu Hause dann warf ich die Türen und verkroch mich in mein Bett. -
    Am nächsten Tag in der Schule erwähnte keiner den Nachmittag am Wohlstorfer Teich und unsere Begegnung dort. Nicht mit einem einzigen Wort.
    Es war so, als hätte ich es nur geträumt, dass meine Klasse in unseren Ort gekommen war.
    Und auch Marcia sprach nie wieder von dem Geschenk, das ich ihr hatte machen wollen. So als hätte die Begegnung vor dem Speisesaal, die sich mir ins Gedächtnis gebrannt hatte wie ein Film, nicht gegeben.
    Ich begann, an mir zu zweifeln.
    Ich lag nachts im Bett und grübelte, was mit mir los war. Ich fand keine Erklärung.
    Ich konnte mit niemandem darüber reden. Es war so absurd, so irreal.
    Aber ich konnte doch nicht zu einem Lehrer gehen und wie ein Kleinkind jammern: Die sind alle so gemein zu mir … Schließlich durfte Marcia doch zu ihrer Fete einladen, wen sie wollte, schließlich konnte sie doch ein Geschenk ablehnen. Kein Mensch ist verpflichtet, einen Muff aus Weißfuchsfell anzunehmen, wenn er Weißfuchsfelle zum Beispiel nicht mag oder überhaupt keine Pelze mag. Das gibt es doch.
    Und Schüler können doch Schlittschuh laufen, wo sie
wollen. Und reden, mit wem sie wollen, und an einem Tisch sitzen, zusammen mit Leuten, mit denen sie gerne an einem Tisch sitzen wollen …
    Es war ja nichts Schlimmes passiert. Das versuchte ich, mir einzureden. Ich wiederholte es immer wieder: Es ist ja noch nichts Schlimmes passiert. Es ist ja noch nichts Schlimmes passiert. So als erwartete ich, dass etwas Schlimmeres kommen würde. Sie hatten mir ja nichts getan. Sie konnten sich aus allem rausreden. Jeder würde sie verstehen. Auch meine Eltern würden mich nicht ernst nehmen. Sie würden ein bisschen lachen, mich in den Arm nehmen und sagen, was für ein Sensibelchen ich doch bin.
    Hey, Svetlana, hab dich nicht so, das wird alles noch.

    Von einem Tag zum anderen wurde es Frühling. Eben noch hatten wir strenge Nachtfröste, jetzt schossen überall Narzissen und Tulpen aus dem Boden. Alles wuchs und keimte so schnell, als könnte die Zeit zum Aufholen nicht ausreichen.
    Damals begann es, dass ich fast jeden Morgen, wenn ich auf dem Fahrrad zum Erlenhof fuhr, einen Druck im Bauch und in der Brust spürte. Wie ein Stein lag etwas schwer und unverdaulich in meinem Magen. Und in meinem Mund war ein bitterer Geschmack. Wie Galle. Wie wenn man sich erbrochen hat. Oft dachte ich, es wäre gut, wenn ich mich übergeben könnte, dann würde vielleicht auch der Stein im Magen verschwinden, der Druck in der Brust. Ich begann, mir einzubilden, dass ich dort einen Tumor hätte, eine bösartige Geschwulst. So etwas wie das, an dem ein Kollege von Papa gestorben war. Ich wusste noch nicht, dass es nur Angst war. Angst, dass wieder irgendeine Demütigung kommt, irgendetwas, das mir wie ein Messer ins Fleisch fährt.

    Meine Mutter suchte dringend eine neue Arbeitsstelle. Auf dem Arbeitsamt erklärte man ihr, dass es in dieser strukturschwachen Gegend sehr schwer sei, Frauen ihres Alters zu vermitteln.
    Uns fehlte das Geld, das sie im Supermarkt bekommen hatte, mein Vater arbeitete noch mehr und blieb noch länger weg als früher, um den

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