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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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hatte es am Abend meiner
Mutter vorgelesen und war mit ihr noch ein paar strittige Dinge durchgegangen; meine Mutter interessiert sich wie alle Menschen, die unter politischen Verhältnissen leiden mussten, sehr für Politik.
    Sie fand das Referat sehr gut. Sie meinte, dass es dafür eine Eins geben müsste. Das war lieb. Und Balsam für meine Nerven, denn ich war sehr aufgeregt.
    Warum ich die Klarsichtfolie mit den ausgedruckten Seiten dennoch auf dem Frühstückstisch liegen ließ, weiß ich beim besten Willen nicht.
    Ich merkte es nicht einmal, als ich schon in der Schule war.
    Wir hatten Geo in der dritten Stunde und vorher zwei Stunden Bio. Bei Elke Matthiessen, von der an der Schule gemunkelt wurde, dass sie lesbisch sei. Ich weiß noch, dass es an dem Tag um Aids ging. Und die Länder, in denen sich Aids besonders schnell verbreitet. Und auf welche Arten. Und so weiter. Der ganze Komplex. Natürlich wurde in der Klasse, als es um Sexpraktiken ging, die eine oder andere Zote erzählt, getuschelt natürlich, auch über Homosexualität, aber ich fand es gut, wie die Lehrerin jeden, der sich mit seinem Nachbarn unterhielt, dazu brachte, dass er laut vor der Klasse wiederholte, was er gesagt hatte. Wie rot da manche wurden! War echt komisch. Ich war jedenfalls gut abgelenkt und dachte einfach nicht an mein Referat.
    Meine Eltern haben mir schon sehr früh ein Buch zum Thema Sex in die Hand gegeben. Deshalb war es für mich kein Problem, Worte wie »Penis« oder »Vagina« zu benutzen. Das wurde in der Klasse natürlich auch registriert, aber mir war das egal. -
    Kurz nach Beginn der zweiten Stunde klopfte es. Vielleicht
hatte es schon vorher geklopft, aber weil nun in diesem Moment die Emotionen doch einmal hochschlugen und ein ziemliches Tohuwabohu herrschte, hatten wir es nicht gehört.
    Ich glaube, es war Simon, der sagte: »Es hat geklopft.«
    »Dann geh und öffne die Tür«, sagte Frau Matthiessen.
    Simon stand auf und öffnete.
    Da stand, noch in Anorak und Jeans, meine Mutter.
    Anna Leschkowa. Sie war außer Atem und sie hielt einen großen braunen Umschlag in der Hand.
    Bevor Simon oder Frau Matthiessen etwas sagen konnten, hatte meine Mutter mich schon entdeckt. Sie wusste, dass ich einen Platz am Fenster hatte.
    »Ja?«, fragte Frau Matthiessen. »Sie wünschen?«
    »Svetlana Aitmatowa hat das hier liegen lassen«, sagte meine Mutter. Sie sah die Lehrerin an. »Ich glaube, es ist wichtig. Es ist ein Referat.«
    »Oh«, sagte Frau Matthiessen. Sonst nichts.
    Wie durch einen Schleier hörte ich, als Maximilian ausstieß: »Hey, die kennen wir doch!« Und jemand anderes lachte, als er ihren Vornamen rief. »Mensch! Die Anna! Unsere Putze!«
    Unsere Putze. Mir wurde übel. So was sagt nur jemand, der zu Hause ohne Respekt für die Menschen erzogen wurde, die ihm die Drecksarbeit erledigen.
    Mama schaute nur kurz zu den Jungen hin. Sie lächelte. Sie stand ganz aufrecht, richtig stolz, und lächelte. Ich dachte, hier kennt sie sich aus. Das ist ein Klassenzimmer, vor solchen Schülern hat sie früher auch gestanden, wenn auch vor jüngeren. Als Lehrerin. Vielleicht fühlte sie sich in diesem Augenblick in die frühere Zeit versetzt. Irgendwie
musste die Klasse etwas davon gespürt haben. Denn das Feixen hörte auf.
    Da war ich für eine Sekunde unheimlich stolz auf meine Mutter.
    Ich hab mich erhoben, bin nach vorn gegangen, hab den Umschlag genommen und laut »Danke, Mama« gesagt.
    Das Leuchten, das über ihr Gesicht ging, werde ich nie vergessen. Da erst wusste ich, wie viel Überwindung es sie gekostet haben musste, hierher zu kommen, ohne eine Ahnung, wie ich mit der Situation umgehen würde. Meine Mutter ging dann einfach.
    Erst als sie weg war, merkte ich, wie unglaublich still es in der Klasse war. Man hätte eine Feder hören können, die zu Boden fällt.
    Ich setzte mich und verstaute das Referat in meiner Tasche, nun wieder voll im Bewusstsein, was eben geschehen war und was es für mich bedeuten würde.
    Ich spürte, alle blickten mich an.
    Alle.
    Und Kaspar hinter mir wisperte: »Lukas! Svetlanas Mutter kennt deine dreckigen Unterhosen!«
    »Selber Wichser!«, knurrte Lukas.
    Die Klasse kicherte. Anzügliche Witze kamen immer gut.
    Aber ich ertrug dieses Kichern nicht, das immer mehr anschwoll zu einem ohrenbetäubenden Gelächter.
    Es hallte mir die ganze Nacht noch in den Ohren.

    Ich weiß nicht, was daran so schlimm sein soll, dass meine Mutter die Unterhosen der Jungen aus meiner Klasse

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