Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
Vom Netzwerk:
aber dann besann sie sich und sagte: »Nein, Svetlana. Behalt den Muff. Es würde nichts ändern, wenn ich ihn annehme.«
    Dann ging sie. Zu meinen Füßen das zerrissene Geschenkpapier, in meinen Händen der Muff. In meinem Kopf: nichts.
    O doch: Ich schämte mich, ich schämte mich abgrundtief, so sehr, dass ich begann, mich zu hassen für das, was ich getan hatte.
    Da legte jemand von hinten seinen Arm um mich. Es war Ravi.
    »Was ist passiert?«, fragte er. Ich drehte mich langsam zu ihm um. Er schaute mich erschrocken an. »Du bist ja weiß wie der Tod!«
    Ich nickte. Ich versteckte das »Geschenk« hinter meinem Rücken, damit er es nicht sah, aber er reimte sich zusammen, was passiert war.
    »Hat sie es nicht gewollt?«
    Ich schüttelte den Kopf.

    Ravi knurrte. Er konnte knurren wie ein bengalischer Tiger, wenn er sich ärgerte. »Sie ist die dümmste Kuh, die mir je begegnet ist.«
    Ich versuchte zu lächeln. »Danke«, flüsterte ich.
    Sanft zog er meine Arme nach vorn. Er blickte wie Marcia auf das schöne Fell. »Was ist das?«, fragte er.
    »Mufta«, flüsterte ich, »aus meiner Heimat.« Die Tränen liefen mir nur so über das Gesicht.
    Ich wusste, dass viele uns beobachteten, aber das ließ sich nicht mehr ändern. Es war egal.
    Alles war egal.
    »Ich weiß genau, wie du dich fühlst.« Ravi legte mitfühlend seinen Arm um mich. Aber ich machte mich los. Ich spürte plötzlich so eine unheimliche Wut auf alles, auf mein ganzes Leben, auf die Welt, sogar auf Ravi, der gar nichts dafürkonnte.
    »Du weißt gar nichts!«, schrie ich und rannte weg.

    In der folgenden Woche bekamen wir zwei Arbeiten zurück: Ich hatte in Deutsch und in Englisch als Einzige jeweils eine Zwei plus und damit die besten Zensuren. Die Lehrer lobten mich überschwänglich. Aber ich konnte mich über das Lob nicht wirklich freuen, weil ich inzwischen wusste, dass damit das Klima zwischen mir und den anderen noch eisiger werden würde.
    Auch die echte, die meteorologische Kältefront aus Russland war über uns stecken geblieben; ganz Norddeutschland lag noch immer in klirrendem Frost. Der Frühling aus dem Süden kam nicht voran. Der Teich in unserem Ort war zum Schlittschuhlaufen freigegeben.
    Ich besaß keine Schlittschuhe. Ich konnte nicht einmal
Schlittschuh laufen. Aber weil bei uns an dem Sonntag schlechte Stimmung war - meine Mutter hatte tatsächlich die Kündigung bekommen -, meinte mein Vater, wir sollten uns einfach ein bisschen amüsieren und auch zum Teich gehen.
    Es gab einen Stand, an dem konnte man Glühwein kaufen und Bratwürste.
    Was ich nicht gewusst hatte: An diesem Nachmittag hatte es so etwas wie ein Eishockeyturnier gegeben. Jeweils zwei Mannschaften aus Wohlstorf und vom Erlenhof hatten gegeneinander gespielt. Ich erschrak, als ich an diesem Sonntag meine halbe Klasse am Teich versammelt fand. Da stand Nadine, mit zwei Thermoskannen und Plastikbechern, und schenkte Tee und heiße Schokolade aus, und ein Dutzend Schüler war um sie herum. Alle in den neuesten schicksten Daunen-Anoraks. In Thermohosen und Boots. Ein paar Jungs aus unserer Klasse bolzten im Ausklang ihres Spiels mit den Hockeyschlägern über die Eisfläche.
    Nadine erblickte mich von Weitem. Ich sehe noch, wie ihre Lippen sich bewegten und auf einmal die anderen sich zu mir umdrehten.
    Wir guckten uns über den Teich hinweg an.
    Keiner von ihnen hob den Arm, um zu winken. Deshalb winkte ich auch nicht.
    Ich stand wie versteinert neben meinen Eltern.
    Zum ersten Mal fiel mir auf, wie schäbig mein Vater gekleidet war. Er trug seine alte geliebte Schaschka, eine Mütze mit gefütterten Ohrenklappen, und eine Lammfelljacke, die mehrfach geflickt war. Er liebte die Jacke.
    Meine Mutter hatte sie schon mehrfach weggeben wollen, aber er hatte sie immer wieder aus dem Sack für die Altkleidersammlung
herausgeholt. Papa ist so ein Typ, der an seinen alten Sachen hängt. Der nichts wegwerfen kann.
    Meine Mutter hatte eine Kollegin aus dem Supermarkt getroffen, sie achtete nicht auf mich, weil sie zu sehr beschäftigt war mit ihrem Problem.
    Mama trug ihren alten dunkelroten Wintermantel, der ihr über den Hüften zu eng war. Sie hatte eine rote Nase von der Kälte, wie eine Schnapsnase, und sonst war sie ganz bleich.
    Mein Vater spielte mit der Hündin eines Bekannten aus dem Nachbarhaus, der auch aus der Ukraine kam, und warf Stöckchen für sie aufs Eis.
    Auf der anderen Seite meine Klasse. Dort sollte auch ich eigentlich sein. Nadine schlitterte

Weitere Kostenlose Bücher