Boeses Spiel
die Worte: Die besten Freunde der Welt! Aber die erste Hälfte: Diese Klasse ist nicht einfach... Da hätte ich aufmerksam werden müssen.
Er wollte mir sagen, dass ich Obacht geben sollte. Aber was hätte ich anders gemacht?
»Oh, hallo Svetlana«, sagte Frau Hartmann. Sie war eine freundliche, herzliche Person. »Bist du nicht in der Schule? Was ist das für eine Nummer, die ich auf dem Display habe?«
»Ich ruf von zu Hause an. Mir geht es nicht gut.«
»Oh, das tut mir leid. Du hast auch eine ganz kleine Stimme. War der Arzt schon da?«
»Nein, noch nicht. Mir ist auch erst seit heute Nacht nicht gut. Ich weiß nicht, was es ist.«
»Aber wir brauchen eine offizielle Entschuldigung, Svetlana.«
»Ja, ich weiß. Die kommt morgen.«
»In Ordnung. Aber wenn du dich wirklich schlecht fühlst, Svetlana«, sagte Frau Hartmann besorgt, »solltest du unbedingt zum Arzt gehen. Erstens soll man die Anzeichen des Körpers ernst nehmen und zweitens brauchen wir spätestens am dritten Tag ein ärztliches Attest. Das weißt du, oder?«
»Ja«, sagte ich kleinlaut, »ich geh zum Arzt. Aber vielleicht geht es mir ja morgen schon besser.«
»Ich wünsche dir auf jeden Fall alles Gute«, sagte Frau Hartmann warm.
Als ich »Danke!« murmelte und auflegen wollte, rief sie: »Ach, Svetlana!«
»Ja?«
»Wenn du bei Gelegenheit im Sekretariat vorbeikommen kannst: Hier liegt die Einladung an deine Eltern. Zu unserem Maifest. Holst du dir die ab? Dann müssen wir sie nicht schicken.«
Am nächsten Morgen stieg ich wieder aufs Rad. Mit zusammengebissenen Zähnen. Was sollte ich sonst tun? Meine Mutter konnte ja sehen, dass mir »nicht wirklich« etwas fehlte. Die Entschuldigung für den einen Tag hatte sie mir geschrieben.
Das Maifest! Ich hatte versucht, es zu verdrängen, dass dieser Tag kommen würde. Das Maifest gab es seit der Gründung des Erlenhofs im Jahr 1920. Sozusagen eine heilige Angelegenheit. Im Hause schwirrten schon seit Wochen Gerüchte über dieses Event, das von der Direktion als »Chefsache« behandelt wurde.
Die Schüler waren aufgefordert, sich mit Beiträgen zu beteiligen. Wie das Fest insgesamt, so sollten diese Beiträge das positive Image der Schule fördern und dafür sorgen, dass das Interesse von Schülern aus dem In- und Ausland, hier zu lernen, nicht nachließ.
Außerdem sollte den Eltern Gelegenheit gegeben werden, sich über die Fortschritte ihrer Kinder und der Schule insgesamt zu informieren.
Zum Maifest wurden auch Ehemalige eingeladen, besonders jene, die sich als Förderer und Wohltäter einen Namen gemacht hatten.
Meine Klasse hatte wohl letztes Mal ein Theaterstück aufgeführt und musste sich deshalb dieses Jahr nicht an den Vorbereitungen beteiligen.
Unter anderem sollte es diesmal einen Mozartabend geben. Anton Kaiser, der Musiklehrer, hatte ein Quartett gebildet und ein paar Stücke einstudiert. Mit Violine, Cello, Klarinette und Cembalo. Dazu sollten zeitgenössische Tänze aufgeführt werden.
Es war durchgesickert, dass die Mitwirkenden gepuderte Perücken à la Mozart und Kostüme aus dem 18. Jahrhundert tragen würden. Seit Wochen schon wurde im Atelier genäht und gestickt und an der Ausstattung für die Bühne gearbeitet. Die Kulisse sollte so eine Art französischer Lustgarten werden. Das war natürlich eine Steilvorlage für ein paar Leute, zotige Witze zu reißen …
Unsere Klasse war extrem unmusikalisch, wie uns der Musiklehrer immer wieder seufzend versicherte. Es gab keinen, der sich für klassische Musik interessierte. Mich hatte das auch kaltgelassen bislang, obwohl meine Mutter mich immer mal wieder, wenn im Fernsehen, in 3SAT oder auf ARTE, eine Konzertübertragung lief, aufgefordert hatte, es mit ihr zu hören. Aber da war sie auf taube Ohren gesto ßen.
Wenn sie erführe, dass es einen Mozartabend geben würde, wäre sie nicht mehr davon abzubringen gewesen, dieses Maifest zu besuchen. Und Oleg wäre stolz, wenn er an der Seite seiner Frau und seiner Tochter in den »heiligen Hallen« des Erlenhofs Einzug halten könnte. Ich wusste das. Ich wusste, dass es für sie beide das Größte wäre.
Ich wollte aber nicht, dass sie kommen.
Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Wie meine Mutter, die im Internat als Putzfrau arbeitete, sich locker unter diese Mercedesfahrer mischen und mit den Müttern meiner Mitschüler eine Konversation
führen wollte - übers Golfspielen oder den Urlaub in irgendwelchen Luxushotels. Wie peinlich das
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