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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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Zimmer.
    Ich wartete. In meinem Kopf hämerte es, ich zog mich aus, kroch unter die Decke, ohne ins Bad zu gehen.
    Ich lauschte. Hörte, wie meine Mutter in der Küche war, wie sie den Fernseher anstellte und wieder ausstellte, wie der Teekessel pfiff. Hörte sie ins Bad gehen, die Klospülung, das Wasserrauschen. Dann ihre Schritte auf dem Flur, wie sie vor meinem Zimmer verharrten. Ich hielt die Luft an.
    Es passierte nichts. Sie kam nicht in mein Zimmer. Sie ging in ihr Schlafzimmer, und als ich am nächsten Morgen in der Küche meinen Tee trank, blieb ihre Schlafzimmertür geschlossen, obwohl ich sicher war, dass sie nicht mehr schlief.
    Ich riss einen Zettel aus meinem Ringbuch und schrieb: »Ich hab euch lieb. Okay, wir gehen zusammen auf das Fest.«
    Der Zettel lag noch immer auf dem Tisch, als ich nachmittags aus der Schule zurückkam. Mama hatte darunter geschrieben: »Ich weiß, was dich bewegt. Wir lieben dich auch, du dummes Kätzchen.«
    Am Abend telefonierte Mama mit Oleg. Sie hatte das Telefon mit ins Schlafzimmer genommen, und wenn sie so leise und schnell auf Russisch redete (das Deutsche sprach sie zumeist langsam und akzentuiert), konnte ich kaum etwas verstehen.

    »Oleg hat eine neue Tour dazubekommen«, sagte sie, als sie wieder auftauchte. »Er kommt vorher nur für einen Tag und muss gleich wieder weg. Und ohne Oleg möchte ich nicht auf das Fest. Geh du allein und amüsier dich.«
    »Aber es gibt ein Mozartkonzert«, erwiderte ich zaghaft.
    Meine Mutter lächelte gleichmütig. »Ja, das hab ich gehört.«
    »Das weißt du?«
    »Natürlich«, sagte sie, »glaubst du, wir reden untereinander nicht über das, was in der Schule passiert?«
    Ich schaute sie an. Hatte sie sich erkundigt, nachdem sie die Einladung zwischen den Büchern entdeckt hatte, oder wusste sie schon vorher von dem Fest und dem Mozartkonzert?
    »Aber du hörst doch so gerne Mozart«, sagte ich.
    Jetzt lachte sie. »Ja, ich höre gerne Mozart. Aber lieber, wenn es von einem richtigen Orchester gespielt wird.«

    Oleg brachte von seiner letzten Fahrt ein Kleid für mich mit. Er war irgendwo in einer abgelegenen Ecke von Weißrussland gewesen, weit entfernt von der Hauptstadt Minsk. Es war ein Kleid, wie man es sich nicht in den schlimmsten Albträumen vorstellen kann, aus Kunstseide, der Saum bestickt wie eine Trachtenmode. Mit einem Bolero. So etwas, was vielleicht vor dreißig Jahren getragen wurde. Wadenlang.
    Champagnerfarben. Das einzig Schöne an dem Kleid war der tiefe Ausschnitt und die Seidenkordeln, die man als Gürtel knoten konnte, in allen Regenbogenfarben …
    Ich habe in Deutschland so ein Kleid nie in einem Geschäft gesehen. Einfach aus dem Grunde, weil es niemand,
der bei Verstand ist, kaufen und anziehen würde. Aber in Weißrussland finden viele so etwas schön, Leute, die im Alter meines Vaters sind. Da muss alles immer blitzen und glänzen und glitzern, da müssen die Röcke noch weit und schwingend sein, damit man sie beim Tanzen schön wirbeln lassen kann. Natürlich gibt es in Weißrussland auch westliche Kleider, ganz modische, aber die »kosteten«, die kann man nur in teuren Läden kaufen, und Papa geht nie in teure Geschäfte, der kauft alles auf den Märkten. Es gibt riesige Märkte in der Ukraine und in Weißrussland, Oleg liebt diese Märkte, das Handeln und Feilschen. Ich konnte mir vorstellen, wie er mit dem Händler um dieses Kleid gefeilscht hatte, wie er stolz von mir erzählte, von seiner Tochter, die auf ein Gymnasium in Deutschland ging, auf ein besonderes Gymnasium. Ich konnte mir vorstellen, wie mein Vater ein Mädchen mit meiner Figur unter den Marktbesuchern fragte, ob sie das Kleid einmal anprobieren könnte. Ich wusste, wie vergnügt er gewesen sein musste, als er das Geld dafür hinblätterte, und wie er das Kleid, in braunes Packpapier gewickelt, unter den Arm klemmte und mit seiner Zigarre im Mund in der nächsten Kneipe einen Wodka trank. Auf das gute Geschäft. Ich weiß, dass Papa mich liebte und dass er mir eine Freude machen wollte, als er erfuhr, dass wir ein Maifest in der Schule feiern …
    Wenn ich nicht solch ein schlechtes Gewissen gehabt hätte meinen Eltern gegenüber, hätte ich mich gewehrt, dieses Kleid auch nur eine Sekunde lang anzuziehen. Aber ich konnte ihnen nicht auch das noch antun. Ich musste zeigen, dass ich zu ihnen gehörte. Dass wir eine Familie waren, dass wir drei uns liebten. Allerdings hatte ich mir einen kleinen Betrug überlegt.

    Ich dankte Papa

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