Boeses Spiel
nichts zu sehen. Gar nichts. Das kapierte ich nicht. Denn es brannte und juckte wie die Hölle. Sogar meine Augenlider juckten. Vielleicht, weil ich in der Nacht so viel geheult hatte.
Ich zog die Decke über den Kopf.
Meine Mutter kam irgendwann in mein Zimmer, sie war angezogen für die Arbeit, sie kam rein wie wohl jeden Morgen, wenn ich schon weg war, um das Fenster aufzureißen und das Bett aufzuschütteln. Als sie die Decke wegzog, entdeckte sie mich.
Ich lag zusammengerollt auf der Seite, das Gesicht zur Wand. Sie beugte sich über mich. Ich hielt die Augen fest zusammengepresst. Sie schüttelte mich.
»Kätzchen! Hallo! Aufstehen! Du hast verschlafen! Ich denk, du bist längst in der Schule!«
»Ich bin krank«, murmelte ich.
Sie legte ihre kalten Finger auf meine Stirn. »Fieber hast du nicht«, stellte sie nüchtern fest.
»Ich hab Bauchschmerzen.«
»Hast du deine Tage?«
»Nein, aber mir ist trotzdem nicht gut.«
Meine Mutter gehört zu den Menschen, die nie krank sind. Sie spricht nie über Schmerzen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie je etwas Ernstes hatte. Schnupfen und so, das schon, aber das nimmt sie einfach so hin, darüber redet sie gar nicht. Ihr Motto ist immer: Wer anfängt, über Krankheiten nachzudenken, fühlt sich auch krank.
Ich hab immer darunter gelitten, dass ich nicht krank spielen durfte wie andere Kinder, dass ich nicht verhätschelt wurde. Ein bisschen Kranksein ist für viele Kinder der Himmel. Sie werden verwöhnt, ihre Mutter liest ihnen ein dickes Buch vor und sie schlürfen heiße Schokolade, während die anderen Kinder in der Schule büffeln.
»Lass mich einfach in Ruhe«, murmelte ich und zog meine Decke wieder über den Kopf.
Mama ging, aber sie kam zehn Minuten später erneut. Sie setzte sich auf die Bettkante.
»Ich muss jetzt los, Kätzchen«, sagte sie, wieder legte sie ihre Hand an meinen Kopf. Befühlte meinen Puls. »Bist du sicher, dass du nicht aufstehen kannst?«
»Ganz sicher«, murmelte ich.
»Warst du auf dem Klo?«
»Klar.«
»Also kannst du aufstehen.«
Es wurde mir zu bunt.
Ich fuhr hoch. »Mama, ich bin vierzehn. Ich bin kein Kleinkind. Ich weiß, wenn es mir nicht gut geht, okay? Und jetzt lass mich allein.«
Sie schaute mich an, presste ihre Lippen zusammen und ging. Aber sie steckte noch einmal ihren Kopf in die Tür. »Was soll ich in der Schule sagen?«
»Überhaupt nichts!«, schrie ich. »Ich mach das schon alleine!«
Ich sprang auf, schob meine Mutter aus dem Zimmer, schloss die Tür und drehte den Schlüssel herum.
Wenig später hörte ich die Wohnungstür.
Ich zog mir einen Bademantel an, kochte mir einen Tee und setzte mich an den Computer.
Obwohl ich mir in der Nacht geschworen hatte, nie wieder die Seite »We are Celebrities!« anzuklicken, flogen meine Finger nur so über die Tastatur, und ich fluchte und bibberte, weil der PC so lange brauchte, um hochzufahren, und bei jedem Link Ewigkeiten vergingen, bis ich weiterkam.
Ich dachte, ich werde rauskriegen, wer hier in den Foren ist.
Ich dachte, ich würde irgendwelche Hinweise entdecken, die mich auf die richtige Spur brächten.
Vor allen Dingen wollte ich den ganzen Dreck löschen, der da über mich stand.
Aber es ging nicht. Es brachte mich fast um, dass ich nur alles lesen konnte, aber nicht selber aktiv werden!
Tilly war ein Ungeheuer!
Tilly!
Ich begriff.
Was war ich doch nur für ein Idiot! Tilly hatte mich nicht aus Freundlichkeit auf diese Plattform aufmerksam gemacht. Sie wollte, dass ich den Dreck lese, der da über mich stand!
Wie abgrundtief hässlich.
Ich heulte in meine Teetasse. Meine Lider waren noch geschwollen von den Tränen der Nacht. Aber ich hatte Tränen für ein ganzes Jahrhundert.
Was sollte ich machen?
Was?
Wie konnte ich diesen Leuten jemals wieder begegnen, ohne an all die Gemeinheiten zu denken, die sie über mich austauschten?
Ich überlegte, was meine Mitschüler jetzt wohl gerade machten.
O Gott. Ich musste ja auch im Sekretariat anrufen.
Mit weichen Knien ging ich zum Telefon.
»Hallo, Frau Hartmann, hier spricht Svetlana.«
Frau Hartmann war die Frau, die mich empfangen und dem Direktor vorgestellt hatte bei meinem Antrittsbesuch. Mir fiel während des Gesprächs ein, dass der Direktor damals gesagt hatte: »Diese Klasse ist nicht einfach. Aber wenn es dir gelingt, die Herzen deiner Mitschüler zu erobern,
dann wirst du die besten Freunde der Welt haben.« Ich hatte das damals nur zur Hälfte wahrgenommen, nur
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