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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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alles werden würde. Und dazu Oleg, der in Odessa, der Stadt am Schwarzen Meer, früher geboxt hatte, als Halbschwergewichtler, und dessen Nase dreimal gebrochen war, Oleg, der Hände hatte wie ein Baseballschläger und der immer gleich schwitzte, wenn er aufgeregt war. Ich liebte meinen Papusch, aber ich wusste, wenn ich ihn unter all den herausgeputzten, geschniegelten Typen sah, würde ich mich schämen.
    Ich wollte mich nicht für meine Eltern schämen. Ich wollte es ihnen ersparen, dass man sich über sie lustig machte, so wie man sich über mich lustig machte.
    Lieber wollte auch ich nicht zu dem Maifest gehen.
    Ich holte also die Einladung aus dem Sekretariat ab, um zu verhindern, dass sie doch noch zu uns nach Hause geschickt wurde. Ich schob sie einfach zwischen die Bücher in meinem Regal und versuchte, sie dort zu vergessen. Und meine Mutter fragte auch nicht.
    Manchmal, wenn wir abends eine Partie Schach spielten und sie meine Dame oder meinen letzten Läufer kassierte, weil ich einfach nicht aufgepasst hatte, spürte ich ihren Blick. So einen aufmerksamen, forschenden und auch fragenden Blick. Dann beugte ich mich noch tiefer über das Schachbrett, damit sie nicht sah, wie ich rot wurde.
    Sie wartete dann oft lange, bevor sie einen Zug machte, wie um mich aufzufordern, sie anzusehen und etwas zu sagen. Aber ich schaute nicht hoch. Ich starrte auf ihre Finger, ohne zu begreifen, was ich sah. Manchmal war mein König so bedroht, dass Mama mir in zwei Zügen Schach hätte
bieten können, und ich merkte es nicht! Ich spielte wie ein Anfänger.
    Eines Abends hatte meine Mutter keine Lust mehr. Sie spielte nicht gern mit Leuten, die sie leicht schlagen konnte.
    Also schob sie die Figuren einfach vom Brett und ließ sie auf den Teppich kullern. Da musste ich aufschauen.
    Sie hatte so ein trauriges Lächeln im Gesicht. Sie beugte sich vor und strich mir mit den Fingern über die Wange. »Was ist los?«, fragte sie.
    »Nichts.« Mein Gesicht wurde starr wie eine Maske. Ich spürte, wie das Blut aus dem Kopf wich. Wie meine Nasenspitze kalt wurde, wie immer, wenn ich mich extrem unwohl fühle.
    »Natürlich ist etwas los«, beharrte meine Mutter. Ihre Stimme war sanft.
    »Okay«, erwiderte ich störrisch, »wenn du es weißt, wieso fragst du?«
    »Weil ich es von dir hören möchte.«
    »Was denn?«
    Sie schwieg. Ich schwieg auch. Ich erhob mich, sammelte die Figuren vom Fußboden auf und stellte sie wieder auf das Brett. Ich war so nervös, dass ich den Standort von König und Dame verwechselte.
    Ich setzte mich wieder.
    Meine Mutter wartete.
    Schließlich sagte sie: »Ich hab neulich dein Zimmer aufgeräumt.«
    Ich sah sie wütend an. »Wieso machst du das?«
    »Es war nötig«, entgegnete sie. »Ich dachte, die Bücher hast du seit Jahren nicht abgestaubt.«

    Mein Herz setzte aus. Ich sagte nichts.
    »Und da fiel mir das in die Hände.« Sie griff in ihre Jackentasche und holte die Einladung zum Maifest heraus. Stellte sie zwischen die Schachfiguren.
    Ich schwieg.
    »Das Fest ist in drei Tagen«, sagte sie. »Und du hast uns immer noch nicht gesagt, dass wir eingeladen sind.«
    Ich lehnte mich zurück und senkte den Blick.
    »Warum willst du nicht, dass wir an dem Fest teilnehmen?«
    Ich atmete schwer. Es war, als hätte jemand einen Mühlstein auf meine Brust gerollt. Ich konnte das Gesicht, die traurigen Augen meiner Mutter nicht ertragen, ich konnte nicht hinsehen.
    »Ich geh auch nicht«, presste ich hervor.
    »Du gehst nicht auf das Fest?«
    Ich schüttelte den Kopf, nicht heulen, dachte ich, jetzt auf keinen Fall heulen.
    »Und wieso nicht?«
    »Keine Lust«, sagte ich leise.
    Sie lachte ungläubig. »Keine Lust auf ein Fest? Ist das meine Svetlana?«
    Ich gab keine Antwort.
    Sie stand auf, kam um den Tisch herum und tat, was ich schon die ganze Zeit befürchtet hatte, sie legte die Hand unter mein Kinn und zwang mich, sie anzusehen. Ihre Pupillen waren so klein wie Stecknadelköpfe.
    Sie war aschfahl. Ich spürte, wie ihre Hände bebten.
    »Schämst du dich für uns?«, flüsterte sie.
    Ich schloss die Augen. Ich schüttelte den Kopf. Ich sprang auf und schob sie weg.

    »Was redest du für einen Blödsinn!«, schrie ich. »Wieso sollte ich mich schämen! Das ist doch bekloppt.«
    »Ja«, sagte meine Mutter leise, »das finde ich auch. Aber du tust es trotzdem.«
    Ich ging zur Tür. »Entschuldige, Mama«, flüsterte ich. Dann rannte ich raus, schlug die Tür hinter mir zu, flüchtete mich in mein

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