Boeses Spiel
die Note mangelhaft bekommen.«
Oder: »Was passt immer noch zwischen eine Jeans und Svetlanas Hintern? Ein Furz.«
Ich hätte mein Handy am liebsten weggeworfen. Wenn es klingelte, schlug mein Herz sofort schneller und das Blut stieg mir in den Kopf. Ich wagte kaum noch, auf das Display zu schauen. Manchmal »vergaß« ich das Teil zu Hause, weil ich mich nicht mehr terrorisieren lassen wollte.
Aber das war dann immer ausgerechnet der Tag, an dem meine Mutter versuchte, mich zu erreichen, oder Ravi mich anrief.
Ich wollte Ravis Anrufe nicht verpassen. Ravi war immer nett. Er meldete sich manchmal, wenn er nachmittags Zeit hatte, einfach nur, um ein bisschen zu plaudern. Er fragte dann, was ich gerade machte, und wenn ich sagte: Ich sitze in meinem Zimmer und höre Musik, wollte er wissen, was ich hörte. Oder er schlug vor, dass wir uns doch mal außerhalb der Schule treffen könnten, vielleicht bei uns zu Hause. Aber ich gab immer vor, dass ich etwas zu tun hätte.
Ich war inzwischen so verunsichert, dass ich mich nicht mehr getraut hätte, jemandem unsere Wohnung zu zeigen.
Ich schämte mich für alles, für unsere Möbel, für das Treppenhaus, für die Mülltonnen vor der Tür. Ich schämte mich für das schlechte Deutsch meines Vaters und dafür, dass meine Mutter als Putzfrau arbeiten musste.
Es gab nichts mehr, auf das ich stolz war.
Ich hatte keine Lust mehr auf Schach, ich dachte, wofür sollte es gut sein, dass man beim Schachspielen gewinnt? Wen interessiert das? Mir fehlte jeder Antrieb, alles schien mir so sinnlos.
Dann kam dieser Donnerstag, an dem ich wieder auf Klautour in Flensburg war.
Ich war gerade mit einer Bräunungscreme aus einem Drogeriemarkt
entwischt, als ich eine neue SMS auf meinem Handy empfing.
Ich guckte aber nicht sofort nach, sondern versuchte erst einmal, so viel Entfernung wie möglich zwischen mich und das Geschäft zu bringen. Denn als ich soeben an der Kasse die Haarnadeln bezahlt hatte, die nur ein paar Cents kosteten, war mir der Monitor direkt über mir aufgefallen. Plötzlich hatte ich gedacht: Sie wissen, dass du in deiner Tasche die Creme hast. Sie lassen dich nicht aus dem Laden.
Aber die Tür war offen und ich rannte raus.
Ich bin gleich rechts in einen Hof gelaufen, da war ein türkischer Gemüseladen und eine Crêperie (der ganze Hof roch nach frischen Waffeln), und es gab einen Durchgang zur nächsten Straße. In diesem Durchgang war es dunkel und still. Ich blieb atemlos stehen. Mein Herz pochte so laut wie sonst bei Filmen, die ich mir ansah, wenn der Held gerade dabei ist, in die Katastrophe zu stolpern. Da klingelte mein Handy.
Mein erster Gedanke: Jetzt haben sie dich.
Sie sind hinter dir her. Es war völlig irreal, aber ich stellte mir einen Detektiv vor, der mich die ganze Zeit beobachtet und nur auf den Moment gewartet hatte, an dem er zuschlagen würde. Genau jetzt. Wie gesagt, irreal. Warum sollte er mich anrufen? Doch das Verrückte war: Ich fühlte mich fast erleichtert.
»Ja?«, sagte ich. Ich dachte: Jetzt hat der Spuk ein Ende.
Es ist vorbei.
»Hallo, Svetlana, wieso rennst du denn so?«
Es war Ravi. Es war Ravis Stimme auf meinem Handy!
Ich war so verwirrt, ich konnte nur wispern: »Ravi! Wo bist du denn?«
»Vor der Drogerie«, erwiderte er.
Ich musste die Augen schließen, weil mir plötzlich ganz schwindlig war. »Vor welcher Drogerie?«
»Aus der du eben rausgelaufen bist, als wären die Furien hinter dir her.« Er lachte. Er war unbekümmert, er hatte keine Probleme. Und er hatte keine Ahnung, was ich durchmachte. Er war einfach nur begeistert, weil er mich gesehen hatte.
»Ich bin gerade auf der Suche nach einem Laden, wo ich einen USB-Stick kaufen kann«, sagte er, »ich will was vom Computer runterladen.«
Sofort fiel mir der »Beauty Contest« ein und ich dachte: Vielleicht will er sich ja dieses verdammte Bild runterladen, wo ich aussehe wie ein Schwein auf zwei Beinen. Aber natürlich war das Blödsinn.
»Wo bist du jetzt genau?«, fragte Ravi.
Ich ging ein paar Schritte zurück und entdeckte ein Schild. »Das heißt Enge Gracht«, sagte ich. »Und hier ist ein Hof, da gibt es einen Obstladen und so eine Crêperie.«
»Ah, dann weiß ich!«, rief Ravi. »Bleib einfach da, ich finde dich.«
Also blieb ich stehen, was sollte ich auch anderes tun. Ich verstaute meine Bräunungscreme tiefer in meiner Umhängetasche, fuhr mir mit den Händen durch die Haare, als würde das etwas nutzen. Habe ich schon gesagt, dass
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