Boeses Spiel
neuer Jeans mehrfach mit dem Leben abgeschlossen. Zum Beispiel, als auf einmal eine Kundin den Vorhang der Umkleidekabine aufriss und ich gerade versuchte, meine alte superweite Hose über eine neue Jeans zu ziehen. Oder das andere Mal, als ich den Laden schon fast verlassen hatte und eine Verkäuferin mir nachlief bis auf die Straße und mir auf die Schulter tippte... da wäre ich fast in einen Haufen Asche zerfallen. Dabei wollte sie mir nur sagen, dass mein Rucksack nicht zugezogen war. Und dazu lächelte sie auch noch und meinte: »Du ahnst nicht, wie oft ich beim Einkauf schon beklaut worden bin. Sind schließlich nicht alle so ehrlich wie wir.« Und ich musste zurücklächeln und irgendetwas murmeln wie: »Stimmt. Und danke.« Ich hätte mich in dem Augenblick vor Scham am liebsten in Luft aufgelöst.
Wie gesagt, diese Zeit war furchtbar. Ich konnte nicht mehr schlafen, nicht mehr essen. Und an Hausaufgaben erledigen oder Vokabeln lernen war nicht mehr zu denken.
Ich hatte so einen Tunnelblick, meine Augen waren nur noch auf eines der Objekte meiner Begierde gerichtet: Der Gürtel. Das T-Shirt. Die Bluse. Die Turnschuhe.
O Gott. Turnschuhe klauen. Ich möchte nicht mehr daran denken. Wie lange ich einen Laden gesucht hab, in dem es nur eine einzige Verkäuferin gab. Wie endlos ich da rumlungern musste, bis sie ins Lager ging, für einen Kunden ein
Paar Schuhe zu suchen. Wie ich es dann schaffen musste, aus dem Gesichtsfeld dieses Kunden zu kommen, damit er nicht merkte, wie ich die Turnschuhe unter meinen Anorak schob, und wie ich gerade aus dem Laden wollte, als die Verkäuferin wieder auftauchte und mich anstrahlte und rief: »Ich bin gleich bei dir.«
O Gott. Furchtbar.
So ging es die ganze Zeit. Ich hab für anderes gar keinen Kopf mehr gehabt.
Und es wurde immer schlimmer. Je öfter mir ein Diebstahl gelang, desto intensiver dachte ich darüber nach, womit ich meine Klassenkameraden beeindrucken könnte. Ich hatte vollkommen die Kontrolle über mich verloren.
Aber das, was ich mir versprochen hatte, passierte nicht. Sie luden mich trotzdem nicht zu ihren Geburtstagsfeten ein, sie bildeten Cliquen und Gruppen und flüsterten miteinander, lachten und kicherten und hatten ihren Spaß. Es dauerte lange, bis ich mir eingestehen konnte, dass meine Klauereien überhaupt nichts nützten, dass die neuen Klamotten mir nichts einbrachten. Null. Vielleicht machten sie alles sogar noch schlimmer. Weil meine Peiniger jetzt weniger auf mich herabgucken konnten. Weil sie sich nicht mehr lustig machen konnten über das, was ich am Leibe trug.
Sie erfanden eine neue Taktik: Sie beklatschten alles, was ich tat. Sobald ich mich im Unterricht meldete, um eine Frage zu beantworten, oder wenn ich von Herrn Johnson aufgerufen wurde, um an der Tafel eine mathematische Ableitung zu demonstrieren, oder der Englischlehrerin eine fehlerfreie, exakte Übersetzung lieferte, dann applaudierten sie.
Zuerst nur ein paar, aber dann wurden es mehr.
Die ersten paar Mal hab ich es - wenngleich auch mit einem Funken Misstrauen - noch irgendwie gut gefunden. Und hab mich öfter gemeldet und noch häufiger meinen Senf zu allen möglichen Themen dazugegeben. Als ich in Deutsch meine Gedichtinterpretation vorgelesen habe, hat Simon, der in dem Fach auf einer Vier stand, laut »Bravo!« gerufen. Da haben sie gebrüllt vor Lachen.
Es war Dr. Simonis, dem es eines Tages reichte. Doch was er tat, setzte eine neue Welle von Belästigung und Demütigung frei. Wieder hatten sie in die Hände geklatscht, als ich etwas über Balladendichtung (die wir gerade behandelten) gesagt hatte, da fuhr er dazwischen: »Aufhören!«, rief er. »Es ist genug. Ich lasse das nicht mehr zu, dass ihr Svetlana auf diese Weise lächerlich macht. Wollt ihr damit eure Verachtung gegenüber jeder Art von Leistung demonstrieren? Wenn für euch ein gutes Argument wie das, das Svetlana eben vorgetragen hat, Grund zur Erheiterung ist, beweist dies nur, dass ihr die nötige Reife für den Unterrichtsstoff noch nicht habt.«
Ich wurde feuerrot. Und die Klasse blieb still. Aber natürlich haben sie mir es nicht verziehen, dass unser Klassenlehrer sie vor mir fertiggemacht hat.
Von nun an bekam ich fast jeden Tag eine SMS. Eine übler und widerlicher als die andere.
Da kamen immer so Witzfragen: »Was sieht aus wie ein Schwein, grunzt wie ein Schwein, stinkt wie ein Schwein, hat aber nur zwei fette Oberschenkel?«
Oder: »Aktion Warentest: Svetlanas XXL-Unterhosen haben
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