Bokeh
ob ich das hinbekomme. Zweifel passen nicht zu mir, ich hasse so etwas.
„Morgen Früh kommt die Sonne da hinten über die Anhöhe, dann machen wir die Aufnahmen hier im Tal. Was gibt es Schöneres als einen Sonnenaufgang? Das Licht ist echt unglaublich. Hier kann ich dich zwischen diesen Felsen fotografieren und ich stelle mich dort hin.“ Dirk macht ausschweifende Gesten und deutet auf verschiedene Plätze, die ich mir eh nie alle merken kann, denn sie sind alle gleich.
Stattdessen beobachte ich ihn und frage mich, welches Bild er eigentlich von mir hat. Er kennt das „Material“: mein Gesicht, meinen Körper, meine Bewegungen. Aber was er sich hier vorstellt … ich weiß tatsächlich nicht, ob ich dem genügen kann. Und das macht mich furchtbar nervös.
„Dirk?“ Caleb unterbricht uns, von oben rufend. „Du wolltest doch noch den Bach fotografieren. Es ist alles vorbereitet und noch haben wir genug Licht.“
„Ja, klar. Wir kommen. Los, Joschi.“ Dirk nickt, packt mich an der Schulter und schiebt mich den kleinen Pfad entlang hoch zurück zu den anderen und der Ausrüstung. Sein Griff ist fest, fühlt sich gut an und ich gewinne etwas Sicherheit zurück. Peinlich. Hoffentlich hat er es nicht gemerkt.
Die nächste Stunde verbringe ich damit zuzuschauen, wie Dirk fotografiert, assistiert von Caleb, der noch immer einen guten Job macht. Unwillkürlich zolle ich ihm Respekt. Vielleicht hat Dirk ihn deshalb behalten, obwohl die Gerüchte zu ihm durchgedrungen sein müssen. Vielleicht gibt Dirk auch nichts auf das Gerede, sondern beurteilt den Mann nach seinem Können. Würde zu ihm passen. Und bei ihm sehe ich darin auch keine Schwäche. Nun, solange Caleb mich nicht wieder in fraulicher Reizwäsche besteigen will, habe ich auch kein Problem mit ihm.
Die Sonne wandert weiter und ich beginne, im Schatten zu frösteln. Außer Dirks Auto und dem Bus, in dem die Ausrüstung ist, gibt es keinen Anlaufpunkt und auf dem Beifahrersitz dumm rumsitzen liegt mir nicht. Deswegen wandere ich ein wenig umher und versuche nachzuempfinden, was Dirk an dieser Wildnis so sehr reizt.
Für mich sind das einfach nur Steine. Ziemlich viele und wild aufeinandergetürmt. Zwischen ihnen hat jahrtausendelang das Regenwasser Rillen ausgewaschen, die sich wie Wege hindurchziehen. Ziemlich beeindruckend, ja, wenn man sich vorstellt, wie lange das gedauert hat. Dennoch würde ich die Shoppingmeile jeder Großstadt diesem Anblick vorziehen. Jetzt einen heißen Tee trinken … Seufzend streiche ich mir die Haare zurück.
Der ewige Wind hat sie durcheinandergebracht und sie kleben unordentlich zusammen. Bei Dirk mag das ja gut aussehen, ich komme mir wie ein ungepflegter Pudel vor. Großartig, gewöhne dich schon mal dran, Joschi. Morgen wirst du erst recht wie der letzte Neandertaler hier herumstreunen. Missmutig blicke ich zum Himmel hoch, über den eine Regenwolke zieht. Und natürlich direkt über mich hinweg. Feiner Sprühregen nur, aber dennoch Regen. Gut, dann wird Dirk für heute aufhören müssen und wir können endlich zurück ins Hotel. Hoffentlich ist das Wasser heiß genug zum Duschen.
Ich sterbe langsam vor Hunger. Meine Hoffnung, dass es in diesem Hotel anständiges Essen gibt, habe ich allerdings schon längst begraben. Vor Fett triefendes Fleisch und pappige Kartoffeln werden mich erwarten. Vielleicht ist das Brot genießbar und es gibt einen Salat. Im ganz unwahrscheinlichen Fall kennt Dirk ein gutes Restaurant. Mit ihm zusammen essen zu gehen wäre schön. Leider werde ich dabei wohl Calebs Anblick ertragen müssen. Nun, ein paar spitze Bemerkungen dürften ihn schnell vergraulen. Gute Idee.
Es klickt und ich schaue überrascht hoch. Dirk fotografiert mich. Für einen Moment bin ich viel zu verblüfft, um zu reagieren. Was bitteschön ist jetzt gerade fotografierenswert an mir? Meine feuchten Haare hängen mir ins Gesicht, ich bin durchgefroren, habe bestimmt rote Wangen und eine glänzende Stirn und gelächelt habe ich todsicher auch nicht. Oder? Mist, ich habe aber an ihn gedacht und natürlich meine Züge nicht im Griff gehabt. Kann ich gerade auch nicht, denn ich starre ihn an.
Dirk kniet auf dem Weg und hat mich im Fokus. Wie lange wohl schon? Die Hosenbeine seiner Jeans sind bis zum Knie durchnässt. Ist er etwa in dem Bach gewesen? Dann sind doch auch seine Stiefel nass und ihn kümmert das nicht? Der feine Sprühregen glitzert in seinen Haaren, fängt das Sonnenlicht ein, welches hinter der Wolke hervor
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