Bokeh
schluckt hart, ich höre es genau und senkt die Stimme, „anderen … Mann?
„Ja, Dirk Landers ist seit drei Monaten mein fester Freund. Er ist Fotograf und ein ganz wundervoller Mensch.“ Da muss sie nun durch. Das kann sie nicht überhören oder ignorieren. Wird Zeit, dass sie akzeptiert, wer und was ich bin. Höchste Zeit.
„Ich wusste es.“ Sie seufzt sehr tief. „Diese ganzen Aufnahmen von dir in Frauenkleidung … das musste ja so enden. Solche Männer gibt es, die ihre abartigen Neigungen … Man liest das ja oft genug. Sieh nur zu, dass du da schnell wieder rauskommst.“
Ich habe es geahnt. Wäre ja auch zu schön gewesen, ein Schlichtes: Oh wie schön, du hast endlich jemanden gefunden, ich freue mich für dich, zu hören. Verärgert unterbreche ich sie: „Was liest man denn?“
„Ach Joschi, du weißt schon ...“ Sie war noch nie gut darin, Unliebsames auszusprechen. Meist hat sie es einfach totgeschwiegen oder ignoriert.
„Junge, du solltest dir lieber ein hübsches Mädchen nehmen, dann wirst du bestimmt auch wieder …“ Sie unterbricht sich und ich sehe die fahrige Geste, mit der sie sich durch die Haare streicht, haargenau vor mir. „Ach du weißt, was ich meine. Das ist nichts Vernünftiges, so kann man doch nicht dauerhaft leben. Ich frage mich was wir … Nun ja, du warst ja schon immer etwas schwierig, da muss ich mir keinen Vorwurf machen.“
Sie sagt noch mehr, doch ich höre kaum noch zu. Wut gärt in mir, stark wie noch nie. Wenn sie mich nicht akzeptieren kann, wie ich bin, okay. Damit habe ich gelernt zu leben. Aber meinen Freund, meinen Lebensgefährten? Sie hat nie von Jamie erfahren, sie weiß nicht, was ich erlebt habe. Wozu auch, ich hätte sie nie damit belästigen können oder gar Hilfe erwarten dürfen.
Es tut weh, aber ich muss damit leben, dass meine Mutter im Grunde kein Interesse an mir und meinem Leben hat. Und es wohl auch nie haben wird.
„Schick mir einfach den Kaufvertrag. Mein Anlagenberater schaut es sich an, und wenn es sich lohnt, wird er die Villa für mich kaufen“, erkläre ich, möchte nicht mehr länger meine Zeit mit ihren Andeutungen verschwenden.
Soll sie eben mit diesem Haus glücklich werden.
Mein Glück wird sie nie begreifen oder teilen können.
Ich finde es in einem kleinen Reihenhaus bei meinem Mann.
Am selben Abend rede ich zum ersten Mal überhaupt von meinen Eltern. Über dieses Thema habe ich nicht einmal mit Lisa gesprochen. Dirk kann ich davon erzählen, die hilflose Wut herauslassen, die mich seit Jahren verfolgt. Ich erzähle alles, verschweige nichts, entblöße meine Schwäche, immer wieder nachzugeben, ihnen alles zu kaufen, alles zu ermöglichen und dennoch nie zumindest einen Hauch Anerkennung zu bekommen.
Er hört zu, hält mich auf dem Sofa liegend in seinen Armen, während ich mir alles von der Seele rede.
Keine Vorwürfe von seiner Seite, kein Geschimpfe, keine Verurteilung. Er hört nur zu.
„Liebe kann man nicht erzwingen“, murmelt er und streicht mir durch die Haare. „Nicht einmal die der eigenen Eltern. Viele Menschen wissen nicht zu würdigen, was sie haben.“ Er küsst mich. „Ich schon. Dass du mir deine Liebe geschenkt hast, ist das größte Glück der Welt. Sei dir sicher: Meine Liebe gehört dir für immer. Nicht dem Model, nicht dem erfolgreichen Mann. Alleine dir, Joschi.“
Ich weiß, er meint es ehrlich.
Ich bin, wie ich bin. Ich mag für viele andere kein liebenswerter Mensch sein, für ihn schon.
„Lisa hat Recht: Sie meint, du wärst mein Hauptgewinn“, flüstere ich, lehne den Kopf gegen seinen. Dirk lacht leise auf. „Jeder kriegt, was er verdient und ich glaube eher, ich habe mit dir das große Los gezogen. Auch wenn ich es um ein Haar gar nicht erkannt hätte.“
„Du musst nur ab und an die Kamera aus der Hand legen.“
„Oder besser hinsehen. Ich habe immer das Model im Fokus gehabt, nur gar nicht begriffen, dass die Schönheit viel mehr im Bokeh liegt.“ Seine Arme schlingen sich noch enger um mich. „Glaube mir, den Fehler begehe ich nicht noch einmal.“
Ich glaube ihm. Und sollten noch Zweifel bestehen, so können wir sie mit Küssen vollständig beseitigen.
„War eigentlich noch ein Kondom in der Packung?“, flüstere ich, die Nase ganz in seinem Duft vergraben, die Hand schon auf Wanderschaft.
„Nein“, raunt Dirk zurück, seine Lippen liegen bereits an meiner Kehle. „Aber ich habe schon neue besorgt.“
„Na dann ...“ Mir entkommt ein, von tief
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