Bokeh
zu. Klar ist es kitschig. Andererseits … auch romantisch. Es passt zu Kai, der hatte so eine Ader dafür. Verrückter Typ. Sport ist ja schön und gut, aber mal ehrlich: Wer tut sich freiwillig solche Torturen an wie der?
Ein bisschen habe ich ihn bewundert. Der war immer gerade drauf los, konnte seine Klappe nie halten und redete wie ihm der Schnabel gewachsen war. Und in diesen Reiter, in den war er echt verschossen. Irgendwie habe ich sie ein wenig beneidet bei dem Shooting. Aber wohl eher, weil Dirk so verzückt war, dass er sie beim Küssen fotografieren konnte. Das mag Dirk gerne: Knutschfotos. Echte Gefühle einfangen. Mit einem solchen Foto hat er sogar mal einen Preis gewonnen. Gefühle und einsame Landschaften ...
„Schaut ganz gut aus mit dem Wetter.“ Dirk unterbricht meine abschweifenden Gedanken. Mist, ich muss mich einfach besser zusammennehmen, ich bin heute ganz schön unkonzentriert. Er hat das Auto auf einem kleinen Plateau geparkt und reißt die Tür auf.
„Kein Regen. Und schau dir diesen tollen Sonnenaufgang an. Ist das ein Anblick?“ Mit weit ausgebreiteten Armen steht er da, das Gesicht den ersten Strahlen zugewandt. Rotgoldenes Licht lässt seine Haare glühen, seine Augen leuchten feurig rot.
„Wahnsinn“, rutscht es mir heraus. Zum Anbeten schön. In der Tat: Was für ein Anblick. Was kümmert mich die Sonne? Oder die Landschaft? Er ist es, der alles in den Schatten stellt. Perfekt, ursprünglich, männlich, feurig: mein Feuerdirk.
„Ich wusste, es würde dich auch beeindrucken.“ Dirk lächelt und er schlägt mir auf den Rücken. „Das ist etwas, was man nicht künstlich erzeugen, nicht nachstellen kann. Natur in ihrer ursprünglichen Schönheit. Und haargenau das werden wir heute festhalten. Schau hin, Joschi und atme diese Luft tief ein.“ Sein Arm liegt plötzlich um meine Schultern. Ein Schwall seines Duftes raubt mir den Verstand. Instinktiv drücke ich mich gegen ihn. Hautkontakt, Reibung. Oh, ich möchte viel mehr. Ich bin so kurz davor, sein Kinn zu umfassen und ihm den Verstand herauszuküssen.
„Lass dich von diesem Licht erfüllen, sauge es ein, inhaliere es. Licht ist Leben, Wärme, Geborgenheit“, fährt Dirk fort, den Blick auf den roten Sonnenball gerichtet. „Die Schönheit des Augenblicks. Egal, was wir versuchen, einen solchen Moment kann man nicht festhalten, nicht beschreiben. Man muss ihn erleben, ihn fühlen und in sich einschließen.“ Seufzend lehnt Dirk sich gegen mich.
Der Himmel ist rosarot, mein Hirn hormonell schachmatt gesetzt. Scheiße, ich habe wirklich einen Kloß im Hals und mein Herz explodiert gleich in einem Feuerball. Da stehe ich mit dem Mann meiner feuchten Träume auf einem Felsvorsprung und schaue ehrfürchtig der Sonne beim Aufgehen zu. Das ist so verdammt kitschig und klischeehaft, wie eine Szene in einem Schwulenroman.
Und wunderschön.
„Hast du je so etwas Schönes erlebt?“, murmelt Dirk. Meine Lippen brennen, meine Wangen glühen, mein Körper gehorcht mir kaum noch.
„Nein, noch nie.“ Heiser und leise klinge ich und mächtig beeindruckt.
Ich lüge auch nicht. Ich habe noch nie so einen schönen Moment erlebt. Nur wenige Zentimeter und der Mund würde seine Wange berühren, meine Lippen könnten ihn kosten. So nahe, so unglaublich nahe …
Ich kann es nicht. Diesen Moment will ich um keinen Preis zerstören. Wie Dirk sagt: Erleben und in sich einschließen. Damit man es nie vergisst.
„Ich glaube, das wird heute ein ganz besonderer Tag“, meint Dirk und reckt die Arme hoch. „Auf geht es. Wir haben zu tun.“
16 Natürlichkeit
Komische Situation.
Ich streife barfuß, mit hochgekrempelter Jeans und nacktem Oberkörper durch diese steinige Landschaft und irgendwo ist Dirk und macht Fotos. Das ist so ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Er hat mich im Visier, die ganze Zeit oder zumindest meistens. Ab und an taucht er auf, gibt neue Anweisungen, macht Vorschläge und verschwindet wieder. Er will mich „nicht stören.“
Ich weiß, dass er mich beobachtet, durch das Objektiv seiner Kamera immer auf den richtigen Moment lauert. Nur wann er abdrückt, welcher Augenblick für ihn der richtige zum Festhalten ist, kann ich nur erahnen. Ich kann nicht wie gewohnt agieren, mich nicht präsentieren. Dirk wollte, dass ich mich „ganz natürlich durch die Landschaft“ bewege.
Ich versuche es. So natürlich ich es mit kalten, dreckigen Füßen in dem unebenen Gelände eben kann. Dabei war das meine
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