Bokeh
nicht einschätzen. Was denkt er?
„Dann bis … Morgen.“ Ein winziges Zögern, ein ewig währender Augenblick, bis sich seine Schritte entfernen.
„Bis Morgen.“ Mehr gehaucht, meine Kehle gehorcht nicht mehr. Will würgen, husten und schaffe es dennoch, den Blick zu heben, ihn anzulächeln. Das kann ich immer. „Schlaf gut.“
Dirk brummt unbestimmt. Seine Schritte wirken nicht zielgerichtet. Denkt er noch nach? Dreht er sich um? Kommt er zurück? Nicht mehr lange und ich ersticke.
„Schlaf gut.“ Endlich öffnet er die Tür, endlich geht er, endlich kann ich wieder Luft holen. Ein Keuchen, ein winziger, eigentümlich wimmernder Laut entkommt mir.
Das war es. Du hast es versaut. Die einzige Chance, ihm reinen Wein einzuschenken und du hast es total vermasselt.
Meine Arme schlingen sich um mich. Ganz eng. Ganz fest. Halt, ich brauche ihn. Kann nicht mehr denken, mich nicht rühren. Ich ersticke, bin taub, erfüllt, ausgefüllt von Schmerz. Das innere Zittern erreicht mein Äußeres, lässt mich haltlos beben. Augen brennen, Herz zieht sich zusammen. Ich kriege keine Luft, sacke nach vorne. Falle auf die Knie. Noch enger umschlinge ich mich selbst, die Finger krallen sich in meinen Rücken. Kopf sackt nach vorne.
Vorbei. Die einzige Chance. Nein, keine Chance. Er wirkte so erschrocken, beinahe entsetzt. Die Wahrheit hätte ihn von mir fortgetrieben, uns endgültig getrennt. Nein, niemals. Das würde ich nicht überleben. Diesen Schmerz kann ich aushalten, das geht vorbei. Wiegen. Vor und zurück. Atmen. Luft holen. Atmen.
Kein Laut, keine Träne. Nichts entkommt mir. Nie. Nicht mehr. Genügend Übung.
„Nein!“
Die Tür! Ich habe sie nicht zufallen gehört. Holy Shit, ich Idiot. Schwere Schritte im Flur. Er kommt zurück. Verdammt, verdammt. Fehler Nummer zwei. Kann ich denn gar nichts mehr richtig machen? Dirk ist nicht gegangen und ich … ich knie hier vor dem Sofa in einer ziemlich bescheuerten Pose. Und kann mich nicht rühren. Oh nein, nein.
„Das glaube ich dir nicht, das ist …“ Seine Schritte stoppen. „Joschi?“ Er hat mich entdeckt. Oh verflucht, was nun? Kann mich nicht bewegen. Es geht nicht. Kriege noch immer keine Luft.
„Joschi ...“ Die Stimme so sanft. Kann mein Zittern nicht kontrollieren. Himmel, nichts geht mehr. Verliere die Kontrolle.
Dirk geht vor mir in die Hocke. Seine Hände legen sich schwer auf meine Schultern, stoppen das Wiegen und ich hebe den Kopf, muss ihn ansehen. Er ist so fantastisch, wunderschön, unglaublich.
„Das war nicht geschauspielert, nicht wahr?“ Seine Augen, sein Geruch, seine Präsenz, der Druck seiner Hände. Er überwältigt und vernichtet mich. Er kommt mir viel zu nahe, dringt zu weit vor.
Stumm sehe ich ihn an. Meine Augen brennen so furchtbar. Nichts kommt hinaus, keine Erleichterung zu finden. Zu lange verboten. Verlernt und abtrainiert.
„Joschi ...“ Mein Name unendlich zärtlich gesprochen. Wundervoller Balsam aus seinem Mund. Er zwingt mich. Kann mich nicht wehren, nicht gegen ihn. Ich verliere. Oh Hilfe, ich verliere.
Extrem langsam bewege ich den Kopf. Eine kaum merkliche Verneinung, ein furchtbares Eingeständnis, komplette Offenbarung. Ich liefere mich ihm aus und wünsche mir sehnlichst, ich könnte diesen Druck loswerden, der mir Herz und Lunge zusammenpresst. Ich will wieder atmen können. Will ihn küssen, ihn halten, ihm ganz nahe sein.
Er zieht mich hoch, taumelnd komme ich auf die Beine. Zu wackelig, zu unzuverlässig sind meine Knie. Schwach bin ich. Entsetzlich peinlich. So sollte er mich doch nie sehen. Was muss er von mir denken?
„Oh, Joschi ...“ Seine Hand an meiner Wange, streichelt ganz weich darüber. Lang entbehrte Zärtlichkeit fegt mich hinweg, enttarnt mich, lässt mich nackt dastehen.
Sein Ausdruck … Mitleid? Mitgefühl? Ich weiß es nicht, will nicht darüber nachdenken müssen. Ich will ihn von mir stoßen und an mich reißen.
„Nicht ...“, kommt mir nuschelnd heraus. Letzte Verzweiflung, letztes Festhalten, weggeschwemmt von jahrelanger Sehnsucht. Ich schmiege mich in die Wärme, suche die Zärtlichkeit. So lange entbehrt, so großes Verlangen. Meine Augenlider flattern, möchte mich endlich fallen lassen, mich hingeben.
Er wird mich vernichten, er zerstört mich. Meine langjährige Kontrolle ...
Die ich verliere.
Seine Hand in meinen Haaren. Der Geruch wird intensiver. Er zieht mich an sich, mein Gesicht an seinem Hemd, eine Hand im Rücken, stützt mich. Seine Nähe
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