Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bokeh

Bokeh

Titel: Bokeh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
Vom Netzwerk:
nachts natürlich gegenseitig wärmen. Das könnte mir wirklich gefallen. Allerdings würde ich mein iPhone, meinen Haarstylisten und überhaupt das Großstadtleben arg vermissen. Wie immer: Alles geht eben nicht.
    „Gut so. Ein bisschen mehr links. Ja, so. Den Kopf senken. Und nun bitte ehrlich lächeln, nicht dieses verkrampfte Seifenlächeln.“ Das Model ist eine hübsche, braunhaarige Frau, mit viel zu knochigen Oberarmen. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen, vermutlich ist sie neu im Geschäft.
    Abwartend stelle ich mich im Dunkeln des Studios hinter Dirk. Ich habe noch Zeit und ich mag es sehr, ihn bei seiner Arbeit zu beobachten. So habe ich ihn ähnlich im Blick, wie er das Geschehen vor den Scheinwerfern.
    Beobachten, heimlich seine Bewegungen studieren, seinen Körper. Wie er sich die Haare zurückstreicht, den Zopf zurückwirft, sich durch den Bart streicht. Ich liebe das Geräusch der rauen Haare an seinen Fingernägeln.
    Er ist genervt. Ich erkenne es an kleinen, vertrauten Gesten, kenne seinen suchenden Blick, das Runzeln der Stirn, wenn er an seiner Kamera etwas einstellt.
    Wenn er sich ärgert, streicht er sich immer flüchtig über die Oberlippe. Ich mag ihn auch mit diesem Bart. Noch mehr allerdings mit dem tollen, stoppeligen Dreitagebart. Andere Männer lassen sich den stehen, weil es sexy aussieht. Dirk hat schlichtweg die Rasur vergessen oder keine Zeit gehabt. Sein Aussehen ist ihm nicht wichtig.
    Es ist warm im Studio und er schwitzt. Dunklere Stellen unter den Achseln. Ich kann seinen herben Geruch wahrnehmen und sauge ihn verstohlen ein. Wie ich diesen Duft liebe. Ich möchte hineintauchen, mich mit ihm umgeben, in ihm versinken. Einmal in der Umarmung dieses Duftes aufwachen ...
    Leise seufzend konzentriere ich mich auf die Szene.
    Die Kleine ist hübsch, fraglos. Das enge, dunkelrote Outfit steht ihr, bringt ihre wenigen Rundungen gut zur Geltung. Sie bewegt sich jedoch steif, linkisch und viel zu gekünstelt. Wer hat ihr bloß gesagt, dass ein Schmollmund und Augenaufschlag immer wirkt? Ganz bestimmt nicht, wenn sie sexy dominant herüberkommen soll. Armes Ding. Sie wird scheitern.
    „Mensch, Mädchen! Sexy und verrucht ist was anderes.“ Dirk klingt verärgert. Es wird nicht mehr lange dauern und er explodiert. Ich habe es schon oft erlebt. Sieht so aus, als ob es gleich eine filmreife Heulszene gibt, ein Model weniger im Geschäft und einen verzweifelten Modeagenten, der versucht zu retten, was nicht zu retten ist.
    Mein Mund zuckt und ich kann mir das Gefühl leichter Schadenfreude nicht verkneifen. Was ist sie auch so unprofessionell. Wer mit Dirk Landers arbeiten will, muss schon mehr als Idealmaße und ansonsten nur Flausen im Kopf haben.
    Dies ist keine große Sache. Eigentlich lohnt sich dieses Shooting für mich nicht. Meine Agentur wollte mich lieber nach Bali schicken. Modeaufnahmen für ein größeres Magazin. Sonne, Strand, Cocktails und viel mehr Geld.
    Stattdessen bin ich im kühlen London, werde zwei Tage kaum das Studio verlassen und erhalte viel weniger Geld. Dennoch hat meine Agentin kaum mit der Wimper gezuckt, als ich London nahm. Den Landersauftrag.
    Lisa hat nicht gefragt. Tut sie nie. Sie kennt mich schon lange. Sie arbeitet für die Agentur, die mich unter Vertrag hat. Sie wussten meine androgyne Figur zu schätzen, die mir die guten Aufträge sichert.
    Ich bin einzigartig versatil und mir dessen absolut bewusst. Ich schreite ebenso selbstsicher über den Laufsteg, wenn ich Nylonstrümpfe, einen engen Rock und Absätze trage, wie in einem eleganten Anzug. Ich bin eben Profi.
    Ich liebe dieses Spiel der Verwandlung. Ich kann ihnen eine elegante, schöne Frau zeigen und den charmanten bis coolen Mann. Niemand von ihnen wird ganz genau hinter meine Maske schauen können, weiß, wer ich wirklich bin.
    Lisa ist vermutlich die Einzige, die ziemlich viel von mir kennt. Sie ist nicht nur meine zuständige Agentin in Hamburg, sondern auch eine sehr gute Freundin. Sie war es auch, die mir meinen ersten Job in der Modenschau für Frauenmode verschafft hat. Erst habe ich sie laut ausgelacht und es für eine ihrer spinnerten Ideen gehalten. Aber ich war neugierig und warum nicht? Ich kann alles. Das Geld stimmte und Publicity gab es gratis.
    Wochenlang vorher habe ich das Laufen in Frauenschuhen geübt, trotz gezerrter Bänder. Ich habe gelernt, mich wie eine Frau zu bewegen. Ich bin perfekt darin geworden. Niemand erkennt mehr den Mann, wenn ich geschminkt und gestylt

Weitere Kostenlose Bücher