Bokeh
Wanderschaft über meinen Körper.
Kann er.
Und tut er auch.
24 Bei Nacht und Tag
Eine Nacht mit viel zu wenig und unruhigem Schlaf.
Ständig wache ich auf und lausche mit angehaltenem Atem. Mein Herz schlägt viel zu schnell und laut.
Da ist es noch, dieses andere Atemgeräusch, neben mir, ganz nahe.
Verrückt, ich spüre Erleichterung und muss dennoch den Kopf drehen, anheben und ihn tatsächlich anschauen. Da gibt es im Dunkeln nicht so viel zu sehen: eine Silhouette in dem großen Bett. Seine Gegenwart manifestiert sich eher im Geruch und in dem Wissen, dass er noch da ist.
Und nicht gegangen.
Schon recht lange her, dass ich mit einem anderen Mann in einem Bett geschlafen habe. Nur geschlafen. Eigentlich nicht mehr, nachdem mich Jamie verlassen hat.
Nein. Ich habe ihn rausgeschmissen.
Obwohl … Nein, leider stimmt das nicht so ganz. Ich hätte es gerne gemacht. Ich war wütend und enttäuscht, aber da war auch noch diese dumme Stimme im Kopf, die ihm wieder einmal verzeihen wollte, der Teil von mir, der sich verzweifelt an diese Liebe klammerte, egal wie oft er mich fertigmachte und beschimpfte. Meist im Suff oder wenn er high war. Dann war ich die hirnlose Schlampe, die er rücksichtslos durchfickte. Ein Stückchen hübsches Fickfleisch. Mehr nicht.
Dummer, dummer Joschi. Verliebter Vollidiot, der ich war. Viel zu lange habe ich das mitgemacht, obwohl es immer schlimmer wurde und er immer brutaler. Damals war ich jung, unerfahren und glaubte noch an eine lebenslange Liebe. Bis Jamie mich von dieser Illusion kurierte, und zwar gründlich. Sollte ihm wohl dankbar sein.
Wie ich die Kraft gefunden habe, mich endlich zu trennen, weiß ich nicht mehr. Und dann fühlte ich mich furchtbar alleine und verlassen. War ich auch.
Wer hätte es schon verstehen können, dass ich ihn dennoch vermisste? Meine Eltern gewiss nicht. Sie haben mich eigentlich nie verstanden. Oder einfach nicht zugehört. Solange ich passable Noten hatte und ihnen nichts von dem ständigen Mobbing erzählte, oder sie mit anderen Belangen belästigte. Alles war schön und gut, solange sie allgemein nicht in mein Leben involviert waren oder sich gar für mich einsetzen mussten.
Ich war halt kein Wunschkind, ich war nie geplant. So ist das eben.
Als ich selbstständig laufen konnte, konnte ich auch selbst auf mich aufpassen. Ich habe es gelernt. Es ist okay so, sie konnten nicht anders.
Deswegen brauche ich kein Mitleid. Es gibt tausend andere Menschen, denen es viel schlechter ergangen ist. Ich komme damit klar.
Jemand wie ich hat ohnehin kein echtes Zuhause. Man kommt nicht heim zu seinem Liebsten und verbringt lauschige Tage in seinen Armen, ehe es wieder losgeht. Das Leben eines Models bedeutet: immer in Bewegung sein. Alles hat seinen Preis und der Gewinn ist halt verdammt hoch. Kein fester Halt, keine dauerhafte Beziehung. Eigentlich weiß ich das und dennoch sehnt sich ein kleiner Teil von mir haargenau danach.
Eine kleine Schwäche, die Jamie auszunutzen wusste.
Ich lausche auf Dirks ruhigen Atem und versuche im selben Rhythmus zu atmen.
Jamie war ein eitler Pfau, der sich nur mit mir geschmückt hat, weil es gerade zu seinem Image passte. Schwul sein ist cool als zukünftiger Rockstar. Und mit einem attraktiven Model wie mir an seiner Seite öffneten sich ihm verdammt viele Türen.
Ich war ihm wirklich total hörig. Mein erster Freund, meine große Liebe. Er konnte sehr überzeugend sein.
Wo auch immer er jetzt sein mag, seine Rockstarkarriere kann er sich in den Arsch schieben. Niemand verletzt mich ungestraft. Nachdem ich den Herzschmerz nach einer Ewigkeit endlich überwunden hatte und die Narben kaum noch zu sehen waren, habe ich dafür gesorgt.
Und seither bleibt gewöhnlich kein Mann über Nacht in meinem Bett.
Bis jetzt.
Dirks Gesicht kann ich nicht wirklich sehen, nur erahnen. Er hat zum Glück nicht mitbekommen, wie ich einmal kurz das Licht angeschaltet habe, nur um mir diesen Anblick einzuprägen. Die Erinnerung macht es präsent. Ich habe es so oft schon studiert, aber ihn noch nie schlafend gesehen.
Jetzt sehe ich ihn vor mir. Er liegt auf dem Bauch, den Mund ganz leicht geöffnet, die Wange leicht zerknautscht. Die Nasenflügel bewegen sich ganz leicht und ab und an kraust er die Nase.
Wovon er wohl träumt? Von mir? Ich hoffe es.
Ihn bei mir zu haben ist ein beglückendes Gefühl. Ihn vielleicht verlieren zu können hingegen äußerst bedrückend. Immer hatte ich nur davon geträumt, von ihm
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