Bokeh
zusammen.
Ein Tabuthema. Ich erzähle niemals von Jamie. Niemandem.
Auch Lisa kennt nur einen kleinen Teil. Halt dass, was mir rausgerutscht ist, als ich völlig zugedröhnt war. Es schmerzt, es macht mich wütend und versetzt mich zurück. Das will ich nicht.
Es ist vorbei und lange her. Ich bin nicht mehr derselbe.
Meine Lippen öffnen sich von ganz alleine, Worte drängen hinaus, und ob ich noch die Kontrolle darüber habe, was ich sage, weiß ich nicht mehr. Nicht in Dirks Gegenwart, in seinen Armen, mit seiner Nase in meinem Nacken.
Zu spät für einen Rückzug. Dirk hat Mauern eingerissen, sie wie Papier zerfetzt, die ich für Stahlbeton gehalten habe.
„Sein … Name war ...“ Ich spucke ihn aus, hassdurchmischt, trauerbeladen: „Jamie.“ Viel zu viele Emotionen in der Stimme, als dass es unbemerkt bleiben würde. Da ist wieder dieses Brennen. In meiner Kehle, im Herzen, in den Augen. Ich hasse es.
„Fickfleisch hat er mich genannt, wenn er zu viel gesoffen hatte, oder auf einem Trip war. Oder wenn er bei einem von diesen bescheuerten Vorsingterminen wieder Mist gebaut, oder sie ihm schlichtweg die Wahrheit gesagt haben: dass er nicht wirklich singen kann. Verdammter Mistkerl.“ Ich zittere kaum merklich, doch Dirk spürt es. Ich finde mich an seiner Brust wieder, den Rücken gegen den weichen Pelz gelehnt, die Arme um mich geschlungen.
Armer, schwacher Joschi.
Und doch entziehe ich mich ihm nicht. Es ist kein Mitleid, vor dem ich ausspucken und angewidert wegrennen würde. Ich fühle es, ich weiß es.
Mit dem gleichen Gespür für perfekte Fotos, für das Einfangen wahrer Gefühle, weiß Dirk, was ich brauche.
Der erste Mann, der es instinktiv weiß. Kein Schein, kein Besänftigen, kein Anbiedern oder Einschleimen. Echte Empathie.
Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich fühle. Mein Herz füllt den ganzen Körper aus, wummert mit donnernden Schlägen. Meine Finger flechten sich in seine.
Dann erzähle ich.
Stockend, Worte ewig zurückgehalten, zu tief vergraben, versteckt oder eingesperrt. Wieso erzähle ich ihm das alles? So viel kenne ich von ihm nicht. Kann, darf ich ihm vertrauen? Aber ich will es so wahnsinnig gerne und war zu lange alleine.
Sieg oder Niederlage.
Gewinn oder völlige Vernichtung.
Es gibt keine Alternative mehr.
Ich stürze mich vom höchsten Felsen in die Fluten, liefere mich ihm aus. Und kann nur hoffen, dass er mich nicht fallen lässt.
Ich erzähle von dem Mann, dem meine erste Liebe galt, den ich bewundert habe. Der mir die Illusion von Liebe gab, Interesse heuchelte, nur um sich meines Einflusses, des Geldes, meines Körpers zu bedienen. Schmuckstück, Finanzier, Escort und Callboy. All das war ich für ihn. Und niemals mehr.
Ich erzähle von den Phasen, in denen ich seinen Worten erlag, in denen ich glaubte, geliebt zu werden. Von den Phasen der Erniedrigung, den Schmähungen. Jamie hatte mich an den Eiern und wusste haargenau, wo er das Messer ansetzen musste, damit es richtig weh tat.
Himmel, ich war damals furchtbar leicht durchschaubar, gut lenkbar, dankbar für jeden winzigen Tropfen seiner Liebe. Nach außen hin, das wunderschöne erfolgreiche Model, doch unter seinen Händen und Worten wurde ich zum hilflosen Hundewelpen, der sich willig treten ließ und ihm dennoch die Hand ableckte.
Abscheu schüttelt mich. Noch immer kann ich jenen Joschi nicht leiden, trage ihm nach, was er sich hat gefallen lassen.
Nicht mehr. Nie wieder.
Die Sonne klettert höher, die Temperatur steigt in der kleinen Höhle. Mir ist warm. Wohlig warm und ich schließe die Augen. Erschöpft vom endlosen Fall. Kaltes Wasser unter mir? Gehe ich darin unter oder wird er da sein und bleiben?
Seine Wange drückt sich schon eine Ewigkeit gegen meine. Ab und an hat er den Mund geöffnet, doch Worte kamen nicht heraus. Gelegentliches Schnauben. Wut oder Verachtung? Ich weiß es nicht, habe keine Kraft mehr, darüber nachzudenken.
„Nun weißt du, was für ein Schwächling ich eigentlich bin. Das ist der wahre Joschi“, flüstere ich rau. Kein stolzer, arroganter Mann, dem nichts und niemand etwas kann. Nicht das Supermodel, nicht der Verführer, keine ... Schlampe.
Der wahre Joschi ist ein Idiot.
Ich mache hier einen Striptease, den niemals jemand anders zu sehen bekommen wird, entblöße mich weit mehr als bei jeder Fotoaufnahme. Bisher hat er nur nackte Haut gesehen. Eine Hülle. Perfektioniert bis ins Detail. Mein Innerstes ist nicht halb so attraktiv und bei Weitem nicht
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