Bokeh
mit unserem Mittagessen hervor, die uns das Hotelpersonal eingepackt hat.
Rustikales Essen in der freien Natur. Gehört eigentlich nicht zu meiner Traumvorstellung von Gemütlichkeit. Aber ich brauche nur Dirk ansehen, dann ist es völlig egal, wo wir sind, Hauptsache gemeinsam.
An das Auto gelehnt nehmen wir das Essen zu uns und schauen die Bilder an. Er hat es einfach drauf: Jedes davon ist toll, auch wenn er gleich einige löscht, weil er nicht ganz zufrieden ist. Perfektionist eben.
Dann zeigt er mir eins und mir verschlägt es glatt den Atem.
„Wow! Das ist ja toll.“ Wahnsinn. Das Foto zeigt einen Teil meines Gesichtes von der Seite. An den feuchten Lippen klebt eine winzige Haarsträhne. Verträumt sehe ich aus, etwas weiche Züge und dennoch nicht zerbrechlich oder unwirklich. Einfach ich. Wer mich nicht kennt, wird nicht sagen können, ob Mann oder Frau. Perfekte Androgynität.
Die Umgebung ist unscharf und verschwommen. Der Wasserfall dahinter nur zu erahnen, viele runde Lichter, die vielleicht von den Wassertropfen kommen.
„Das Bokeh ist hierbei wirklich klasse geworden.“ Dirk nickt mit sich selbst zufrieden. „Klappt nicht immer so gut, aber hier ist es gelungen.“
„Bokeh?“ Der Begriff sagt mir nichts.
„Die Schönheit der Unschärfe“, erklärt er und kreist mit dem Mauszeiger über die runden Lichter. „Ein japanischer Begriff in der Fotografie, der Zerstreutheit oder Unschärfe bedeutet. Siehst du diese Flecken hier? Die Unschärfe hebt das, was im Fokus ist, besonders hervor. Nur durch diese Unschärfe wird es zum eigentlichen zentralen Objekt.“ Sekundenlang starrt er auf das Foto, hebt ruckartig den Kopf und lächelt mich an. „Das bist absolut du. Ein vollkommenes Foto.“
Wenn er meint. Aber ja, mir gefällt es ausgesprochen gut und ich bin so froh, dass er doch noch seine Aufnahmen bekommen hat, trotz unserer peinlichen Anfangschwierigkeiten. Zumindest wenn ich wirklich ich bin, bringt Dirk gute Fotos zustande. Ach, dann schaffen wir es auch, wenn ich für andre Aufnahmen in meine Rollen schlüpfe. Da bin ich jetzt zuversichtlicher.
Dirks Mauszeiger kreist über meinem Gesicht und der Ausdruck seiner Augen lässt mich schmelzen.
Die Welt ist schön und unsere Zukunft vielversprechend.
28 Farben und Formen
Eine weitere heiße Nacht, die letzte in dem Hotel im Nirgendwo.
Lisa hat von mir nur eine SMS bekommen, dass ich erst im Laufe der Woche wieder in Deutschland bin. Danach habe ich das Smartphone vorsorglich ausgeschaltet. Sie wird mich umbringen, aber ich will weder über die Sache mit Dirk und mir reden, noch neugierige Fragen beantworten müssen.
Unsere Beziehung ist mir viel zu kostbar, um sie in die Welt hinauszuposaunen. Die Medien und die Szene wird es früh genug mitbekommen, da kommt noch was auf uns zu. Dirk sieht das gelassen und hat nur die Schultern gezuckt.
„Die suchen sich immer neues Futter“, hat er gemeint. „Die werden uns schlachten, ausweiden und gebraten servieren. Wenn sie satt sind, ziehen sie weiter. Was soll es.“ Wenn er meint.
Aber das ist nur ein Thema, über welches wir auf der langen Fahrt reden. Und wir haben viel zu bereden. Über uns, über Familien, Freunde, Schule, Werdegang, Interessen und … unsere Zukunft. Wobei wir das Thema beide wohl mit etwas Unbehagen angehen.
Wie wird es sein, wenn wir daheim sind, beide zurück in unseren Jobs? Dirk hat in zwei Wochen einen Auftrag in Portugal, bei mir beginnen die Modewochen und ich werde fast drei Wochen in Paris und New York sein. Wir werden uns nicht oft sehen können. Viel zu selten.
Natürlich werde ich zu ihm fliegen, wann immer ich es zeitlich einrichten kann. Alleine, um ihn zu sehen.
Schwierig wird es dennoch, dessen sind wir uns beide bewusst.
Schwierig, aber nicht unmöglich.
Ebenso schwierig war es, mich während unserer Rückreise zurückzuhalten, Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Zumindest tagsüber. Zwar haben wir immer zwei Zimmer genommen, allerdings meist nur eins benutzt.
Das wird zum Glück in Deutschland anders sein. Dort werde ich ganz bestimmt nicht mehr so tun, als ob wir nur gute Freunde wären. Unvorstellbar sich täglich, ein Leben lang, verstellen zu müssen, nur weil man keine Frau, sondern einen Mann liebt.
Leider vielfach Realität, die mir bisher nicht immer derart bewusst war.
Kunststück, in der Modeszene ist man meist offen schwul oder bi. Nur hetero ist doch langweilig und viel zu konform. Exzentrik und eine
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