Bold, Emely
zögerte nur kurz, als sie den Becher mit der trüben Flüssigkeit an die Lippen setzte. Der Trank war bitter und ihre Zunge wurde augenblicklich taub. Tränen schossen ihr in die Augen und sie würgte hustend den letzten Rest ihre Kehle hinunter. Gemächlich kam die Alte zu ihr herum und legte ihr eine schwielige, nach Zwiebel riechende Hand auf die Stirn.
„Kindchen, Kindchen, die Leibesfrucht auszutreiben, ist kein Kinderspiel. Doch du bist stark, kann sein, dass du es schaffst. Zieh dich jetzt aus und leg dich da hin.“
Nathaira wankte auf ihrem Schemel, denn der Raum begann, sich um sie herum zu drehen. Die strohgefüllte Matratze, die Brèagha-muir ihr zugewiesen hatte, war schmutzig und feucht. Es roch faulig und nach Urin. Doch Nathairas Glieder gehorchten ihr bereits nicht mehr und so ließ sie sich hilflos hinüber geleiten und ihrer Kleider entledigen. Eine grobe Wolldecke wurde über sie gebreitet. Dann ging Brèagha-muir zurück zum Tisch, nahm das Messer und mit einem einzigen kraftvollen Hieb trennte sie dem Hasen den Kopf ab.
Hilflos lag Nathaira da. Eine giftige Schlange wand sich durch ihre Gedärme, schlug ihre Zähne in ihr Fleisch, vergiftete ihr Blut und ihre Gedanken. Wie aus weiter Ferne drangen ihre eigenen Schreie in ihr Ohr. Unfähig sich zu wehren, musste sie erdulden, dass die Hexe ihr einen weiteren Becher der giftigen Mixtur einflößte. Nathaira wollte den Trank ausspucken, doch ihre gelähmten Muskeln verweigerten ihr den Dienst. Sie schien zu verbrennen, keine Luft gelangte in ihre Lunge und ihr Mund füllte sich mit Erbrochenem. Dann sank sie in tiefe, gnädige Dunkelheit.
Fiebrige Träume quälten sie, während das warme Blut zwischen ihren Beinen hervorlief und die Matratze unter ihr tränkte. Brèagha-muir konnte für die junge Frau nichts weiter tun. Das Gift tat seine Wirkung, doch ums Überleben musste sich ihre Patientin schon selbst kümmern. Es wäre bei Weitem nicht die erste Frau, die auf diese Art ums Leben käme. Irgendwann spät in der Nacht, flößte die Alte ihr etwas Wasser ein und kontrollierte die Blutung. Unzufrieden runzelte sie die Stirn. Wenn nicht bald der Blutstrom versiegte, standen die Chancen für die junge Frau schlecht. Inzwischen erfüllte der metallische Geruch warmen Blutes schon die ganze Hütte. Brèagha-muir setzte sich auf den einzigen Schemel und betete. Sie rief ihre Kräfte auf, der Frau in ihrer Not beizustehen und alles zum Guten zu wenden. Sofort frischte der Wind auf und Regen prasselte auf das Dach der Hütte. Zufrieden nickend stand Brèagha-muir auf und hob den leblosen Körper ihrer Patientin hoch. Mit erstaunlicher Kraft trug die Alte Nathaira hinaus in den Regen. Auf einem Felsen - einem steinernen Altar nicht unähnlich, legte sie die Frau ab, befreite sie von der blutigen Decke und trat zurück. Der eisige Regen fiel nun ungehindert auf den nackten Leib. Wie rote Farbe wurde das Blut vom Regen davongewaschen. Nathaira öffnete die Augen. Sie sah den grauen Himmel über sich, die zuckenden Blitze, den nahenden Tod. Dann wurde die Welt um sie herum wieder schwarz.
Als Nathaira vier Tage später wieder aufwachte, lag sie in eine Wollkutte gekleidet auf einer sauberen Strohmatte. Ihr Haar war gekämmt und zu einem strengen Zopf geflochten. Sie war frisch gewaschen und duftete sogar nach Rosenblüten. Zwar erkannte sie die Hütte wieder, doch gleichzeitig fragte sie sich, wo sie war. Die Hütte war leer. Kein Kessel hing über der kalten, staubigen Feuerstelle. Kein einziges Kräutersäckchen hing von der Decke. Und der Schmutz auf der Tischplatte sah so aus, als hätte seit Jahren hier niemand gelebt. Unsicher wankend stand Nathaira auf. Alles um sie herum drehte sich. Sie stützte sich ab und tastete sich langsam zur Tür. Bei jedem Schritt schmerzte ihr Unterleib und bereits nach wenigen Schritten war sie erschöpft. Sie brauchte dringend Hilfe. Und etwas zu trinken. Kraftlos stieß sie die Tür auf und blinzelte, als das helle Sonnenlicht schmerzhaft auf ihre Netzhaut traf. Es fühlte sich an, als wäre sie gestorben und soeben aus dem Reich der Dunkelheit zurückgekehrt. Nathaira fiel auf die Knie und weinte. Sie lebte. Nun musste sie nur noch nach Hause, dann würde endlich alles wieder gut werden. Die warme Schnauze ihres Pferdes stupste Nathaira sanft an der Schulter. Das Tier war gut genährt und bereits gesattelt. Eine volle Wasserflasche steckte in einer der Satteltaschen. Gierig und vor Erleichterung weinend, stürzte
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