Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
du die Nummernschilder sehen?«
»Ja, erwiderte Po. »Als sie unter der Straßenlampe durch sind. Die Dinger waren mit Schlamm verschmiert – ich hab keine Zahlenerkennen können –, aber in der Mitte hab ich was gesehen – Sie wissen, eins von diesen Dingern, die an Schlössern dran sind. Wo die Prinzessin wohnt.«
»Ein Turm«, schlug ich vor.
»Ja«, sagte Po. »Ein Turm …«
»Was sonst?«
»Nichts.«
»Du weißt, wer Nummernschilder herstellt?«, fragte ich den Jungen.
»Ja«, erwiderte er. »Ich weiß es – oben in Attica und Sing Sing.«
»Du hast’s erfasst«, sagte ich. »Also erinnerst du dich vielleicht an etwas mehr.«
»Kann ich nicht«, sagte der Junge. »Ich bin noch nie vorher in Schwierigkeiten geraten.«
»Glaube ich dir nicht«, sagte ich.
»Vielleicht ein- oder … zweimal.«
»Na ja, jetzt steckst du dick in der Tinte.«
»Verdammt, Mann«, sagte Po. »Ich hab dir alles gesagt, woran ich mich erinner. Wo ist Red Hawk?«
»Weiß ich nicht genau«, erwiderte ich. »Im Augenblick hat ihn die Polizei – er geht in die Gerichtsmedizin – dann kann ihn seine Familie übernehmen.«
Po legte die Arme auf den Tisch, barg dann den Kopf darin und fing an zu schluchzen.
»Ich hätte nicht wegrennen sollen«, schrie er. »Ich hätte umkehren und ihn retten sollen. Er ist ein kleiner Junge. Das war meine Schuld. Er tot, und ich geh in den Knast. Und dieser Typ wird mich umbringen. Red Hawk hätte in Shields gewonnen …«
»Komm schon, Po«, sagte ich, weil die Leute zu uns herübersahen. »Reiß dich zusammen. Niemand wird dich umbringen.«
60
Meine SMS an Meriwether, Fallon und Goode:
Ich habe den anderen Jungen aus der Szene. Er behauptet, es seien zwei Täter.
SMS zurück von Goode:
Bring ihn her. Nicht Tom anrufen. Der sitzt bei der Kommission.
Meriwether musste mir nicht sagen, woran er arbeitete, da ich wusste, dass sein Gehirn sich seit Erhalt meiner Nachricht völlig umgekrempelt hatte.
Und ich fing an, das meine umzukrempeln. Drei Männergespanne kamen mir in den Sinn. Alle waren jung, daher zumindest einigermaßen schnell. Alle waren Brüder, daher passte die Idee des Tandems bereits. Leider waren alle bloß sehr ferne Möglichkeiten, weil ein Motiv praktisch nicht existierte, aber sie waren alles, was ich bislang hatte.
Margos Zwillingsbrüder. Sie liebten Hadley. Die wies sie zurück. Sie waren zu groß, um durchschnittlich zu sein.
Victorines zwei Brüder. Zu weit hergeholt.
Hadleys zwei jüngere Halbbrüder. Zu lächerlich. Ihre aalglatte Mutter würde dafür sorgen, dass sie Alleinerben wären.
Und was war mit den beiden anderen ermordeten Mädchen?
Nachdem ich Po zu Goode ins Manhattan South gebracht hatte, war ihre Reaktion auf die letzte Information voraussagbar:
Wie hatte ich den Jungen gefunden?
Wo hatte ich den Jungen gefunden?
Sagt der Junge die Wahrheit?
Wie habe ich das entschieden?
Die neue Information – sollte sie stimmen – veränderte alles.
Wie kommt’s, dass du nicht daran gedacht hast, dass es zwei waren?
Und so weiter …
»Hast du mir auch bestimmt alles gesagt, was du weißt?«
»Ja, Linda«, erwiderte ich, »ich habe dir alles gesagt.«
Fast alles.
Als ich die Polizeiwache verlassen konnte, war es dunkel geworden, und der heftige Nieselregen war zu einem leichten Nieselregen abgeflaut, und ich dachte, dass mir jemand den großen leuchtenden goldenen Stern dafür verleihen sollte, dass ich mich nicht auf Goode gestürzt hatte. Oder Hadley angerufen hatte.
Aber der einzige Preis, den ich an jenem Abend erhielt, war die ereignislose Fahrt zur
Dumb Luck.
Bei meinem Eintreffen dort war ich so ausgebrannt, dass ich drei Aspirin mit etwas Jameson hinunterspülte, meine Kleidung auf den Fußboden fallen ließ und sofort in einen tiefen, dunklen Schlaf fiel.
Als ich früh am nächsten Morgen erwachte, hatte der Regen aufgehört, die Sonne war heraus, und nicht alles war in Ordnung mit der Welt, aber zumindest war das Wetter besser geworden.
Ich hörte meine Mailbox ab und fand nichts von Meriwether oder den Detectives vor, was ein schlechtes Zeichen war. Etliche Kunden hatten angerufen. Und Rue, die Englisch mit französischem Akzent spricht, hatte eine Nachricht hinterlassen. Ich mag es immer, ihrer Stimme zu lauschen – selbst wenn mir manchmal nicht gefällt, was sie sagt. Was diesmal nicht der Fall war, da sie beschrieb, was sie anstellen würde, damit ich mich besser fühlte, wenn sie zurückkäme.
Die
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