Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
ebenfalls braungrau, denn er sah im Licht des Decks wie die Wände aus. Die Tänzerin saß auf der Bettkante und sah eine alte Ausgabe der
Sports Illustrated
durch, die jemand auf dem Nachttisch liegen lassen hatte. Ihr langes Haar war nass und fiel ihr in dunklen Kringeln über die Schultern. Sie trug wieder die zerrissene Bluejeans und ein Sweatshirt, das sie in einer Schublade gefunden haben musste.
»Ich weiß, dass ich nicht schlafen soll«, sagte sie bei meinem Anblick.
»Ist da noch was?«, fragte ich.
»Ich wollte Ihnen sagen, dass ich zumindest lesen kann«, erwiderte sie. »Aber wer ist Tom Brady?«
Sie zeigte mir die Titelseite der Illustrierten, auf der ein Schnappschuss von Brady unter der Überschrift NOCH UNBESIEGT prangte.
»Er ist der Quarterback von den Patriots.«
»Die New England Patriots«, sagte sie mit einem entfernten Blick. »Es sind Arschlöcher.«
Ich musste lachen, weil ihre Bemerkung so unpassend erschien. Nicht so überraschend wie bei Schwester Mary Alphonsus, die einmal ein Bild der Heiligen Mutter aufhängen wollte, sich dabei mit dem Hammer auf den Daumen schlug und
Shit
sagte. Aber fast.
»Was ist so komisch?«, fragte die Tänzerin von dort, wo sie im Kopf hingegangen sein mochte.
»Nichts«, entgegnete ich. »Ich bin froh, weil Sie sich an die Patriots erinnern.«
»Ja«, sagte sie. »Und ich erinnere mich, dass sie in dieser Saison nur eins von sechzehn gewonnen haben.«
»Nicht in dieser Saison«, sagte ich. »Alles ist anders geworden – sie haben drei Jahre hintereinander den Super Bowl gewonnen.«
»Nein – Sie machen Witze!« Sie war ehrlich überrascht. »Na ja, vielleicht habe ich es falsch verstanden. Es ist alles so unbestimmt.«
»Meriwether wird wissen, in welchem Jahr«, sagte ich. »Ich glaube, das letzte Mal, als die Patriots eine solche Saison hatten, war vor etwa zwanzig Jahren. Sie waren ein kleines Kind, aber zumindest kommt etwas zurück.«
»Wir können überlegen, wie alt ich damals war, und wissen dann, wie alt ich jetzt bin. Mein Gott, hoffentlich muss ich nicht fünfzehn oder zwanzig Jahre einzeln durchgehen. Können Sie sich vorstellen, wie es sich anfühlt, nicht zu wissen, wie alt Sie sind?«
»Nicht so richtig«, erwiderte ich. »Aber ich kenne mein richtiges Geburtsdatum nicht.«
»Sie wissen nicht, wann Sie Geburtstag haben?«, fragte sie. »Tut mir ehrlich leid.«
Sie hatte ihre Kindheitserinnerungen an die Patriots verlassen, war in die Gegenwart zurückgekehrt und sprach wie die erwachsene Frau, die anscheinend verstand, was ich meinte.
»Also«, sagte ich, weil ich das Thema wieder auf sie bringen wollte. »Sie sind eine Ballerina, die Football verfolgt – ich frage mich, wie Sie dazu gekommen sind.«
»Mein Vater«, antwortete sie, wieder davontreibend. »Er hat Football gespielt … er war einzelner Außenverteidiger.«
»Erinnern Sie sich, wo das war?«, fragte ich. Niemand spielte so etwas. Seit vielen Jahren jedenfalls.
»In der Schule«, erwiderte sie und nahm den Kopf zwischen die Hände. Dann schaute sie zu mir auf und fuhr fort: »Mir fällt der Name meines Vaters nicht ein.«
Die Tänzerin sagte, sie wolle sich bis zu Sloans Ankunft ausruhen, war jedoch einverstanden, dass Meriwether draußen vor der offenen Tür blieb. Bloß, um hin und wieder hereinzuschauen und sicherzustellen, dass sie nicht eindöste.
Sobald er vor dem Gästezimmer Posten bezogen hatte, ging ich in die Bibliothek und goss mir einen Schuss Jameson ein, um besser gegen das Wetter gerüstet zu sein. Mehr als einen zweiten Schluck benötigte ich nicht, um mich zum Windfang zu bringen, wo wir Ersatzteile aufbewahren, Angelruten, Köderschachteln, Stiefel und Regenzeug. Mit seiner Lage zwischen Küche und Deck entspricht er so ziemlich einem Windfang oder einer Garderobe wie überall, abgesehen von den Waffen und illegalen Federmessern in einer großen, abschließbaren Kassette an einer Wand. Ich fand einen langen Regenmantel, zog ihn über und ging hinaus, um nach Sloane Ausschau zu halten.
Er würde mit seinem schokoladenbraunen Mercedes 300 SE Coupé zurückkehren. Oldtimer von 1965. Gewöhnlich täte er alles, um eine Situation zu vermeiden, in der er Dreck an den Wagen bekäme. Und da Dreck in dieser Sintflut unausweichlich war, war es ein weiteres Opfer, das ich zu würdigen wusste.
Wie lang die Fahrt aus der Stadt auch dauern mochte, ich könnte weitere zehn Minuten hinzufügen, weil er sich lieber durchweichen ließe, als den
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